geisterzug
: Politik im Karneval braucht Fantasie

Geschichtlich gesehen gehören Karneval und Revolte eng zusammen. Dass es dabei immer wieder zu Domestizierungen durch die Regierenden kam, liegt in der Natur der Sache und an den Machtverhältnissen. So zeichnet sich der offizielle Kölner Karneval, organisiert im ordnenden Festkomitee, schon lange durch eine bestenfalls sanfte Kritik an den Herrschenden aus.

KOMMENTAR VON JÜRGEN SCHÖN

Zum Glück führten die erstarrten Traditionen regelmäßig zu entsprechenden Gegenbewegungen. In der jüngeren Geschichte wäre da zu allererst die Stunksitzung zu nennen. Dann der Geisterzug. Entstanden 1991 aus Protest gegen die Absage des Rosenmontagszugs anlässlich des Golfkriegs durch das Festkomitee. Gedacht als Protestplattform für all die, die sich mit ihren politischen Anliegen im üblichen, „bürgerlichen“ Karneval nicht vertreten fühlen.

Doch Kölns politisch alternativ und links Bewegte haben diese Plattform bislang nur wenig genutzt. Auch dieses Jahr war ihre Teilnahme am Geisterzug wieder ein blamables Beispiel für Phantasielosigkeit. Es reicht eben nicht, sich unterschiedlich bunte Hütchen aufzusetzen und textreiche Flugblätter zu verteilen. Nicht einmal, wenn es um ernste Themen wie Sozialabbau und Studiengebühren geht. Oder darum, dass karnevalistische Freude nur möglich ist, weil in China Menschen unter ausbeuterischen Bedingungen Karnevalsartikel für den deutschen Markt herstellen.

Der kölsche Jeck ist durchaus bereit, über sein närrisches Tun nachzudenken, so schnell lässt er sich die Freude nicht verderben. Wohl aber durch Bierernst. Wer an Karneval Politik machen will, sollte sich karnevalistischer Mittel bedienen – der Satire, des Lächerlichmachens, des Lachens. Das kostet Vorbereitung, Zeit und Gehirnschmalz (nicht unbedingt Geld). Aber es geht: Das zeigen zum Beispiel die Schulen, die bei den Schull- und Veedelszöch regelmäßig – und mit bissigem Humor – die Missstände in der Bildungspolitik aufs Korn nehmen. Wer dagegen nur sein übliches Demo-Schild hochhält, braucht sich über das Desinteresse derer nicht zu wundern, die sich beim Geisterzug vor allem amüsieren wollen.