: Lettische Bürger gehen auf die Straße
WIRTSCHAFTSKRISE Die Regierung in Riga schränkt ihre Ausgaben drastisch ein und belastet mit neuem Sparpaket vor allem Niedrigverdiener und RentnerInnen. Das wollen viele jetzt nicht mehr mittragen
STOCKHOLM taz | „Es ist Zeit, auf die Straße zu gehen“, sagt Valdis Keris, Vorsitzender der lettischen Gewerkschaft der Angestellten im Gesundheitswesen: „Was da gemacht wird, rettet uns nicht, im Gegenteil macht es den öffentlichen Sektor und Lettland kaputt.“ Die Regierung in Riga hat in dieser Woche eine neue Sparrunde beschlossen, es ist die dritte in diesem Jahr.
Nickt das Parlament den Plan nächste Woche ab, wird das Staatsbudget um weitere 10 Prozent zusammengestrichen. Und die Gehälter im öffentlichen Dienst, die erst um 15, dann um 20 Prozent gekürzt wurden, werden noch mal um 20 Prozent sinken. Gewerkschafter Keris ist nicht der Einzige, der in Sorge ist.
„Planlose Kürzungen“, kommentiert die Tageszeitung Diena: „Und wo ist der Plan für den Weg aus der Rezession?“ Den hat die Regierung nicht. Die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds (IWF) forderten ihn auch gar nicht. Sie machten eine nächste 1,2 Milliarden-Euro-Rate des Notkredits – sie soll Ende Juni fließen – nur davon abhängig, ob das Haushaltsdefizit unter 9 Prozent liegt. Um das zu erreichen, will die lettische Regierung per neuem Sparpaket auch Steuern ändern.
Es trifft besonders Niedrigverdiener, RentnerInnen und Arbeitslose. Die Renten sinken um 10 Prozent, der Mindestlohn wird von monatlich 180 auf 140 Lats, umgerechnet 200 Euro, gesenkt. Der Mindestlohn ist in vielen Branchen und im öffentlichen Dienst mittlerweile üblich, er soll künftig auch für LehrerInnen gelten. Netto sinkt dieser Mindestlohn sogar auf 160 Euro, weil der bisherige Steuerfreibetrag für Einkünfte unter monatlich 120 Euro gestrichen wird. Gleichzeitig ist es – so zeigen Studien – unmöglich, in Riga mit weniger als 300 Euro pro Monat klarzukommen. Darüber hinaus sind Entlassungen angekündigt. Die Arbeitslosenrate liegt bereits über 17 Prozent und die Arbeitslosenunterstützung ist gering: 4 Monate lang wird die Hälfte des letzten Lohns gezahlt, danach bleibt nur Sozialhilfe. LehrerInnen haben bereits für das Wochenende Demonstrationen angekündigt. Gewerkschaften bereiten Streiks vor. Und auch in den Nachbarländern Estland und Litauen, wo die Regierungen sparen, sind Proteste angekündigt. REINHARD WOLFF