: Die Piraten von Saba bitten zum Tanz
Karneval im Juli zu feiern, ist für Barbara und Wolfgang Tooten aus Köln auch nach fünf Jahren Karibik gewöhnungsbedürftig. Das Paar betreibt ein Hotel mit angeschlossener Tauchschule auf der Antilleninsel Saba. Fastelovend wird zu Salsa- und Calipsoklängen mit den Nachfahren von Piraten gefeiert
VON HANS-ULRICH DILLMANN
„Ich hätte mir nicht träumen lassen, jemals in meinem Leben Fastelovend zu feiern“, sagt Barbara Tooten und lacht. „Ich war immer ein Karnevalsflüchtling.“ Jetzt steht die 42-Jährige knapp zehn Flugstunden von Köln entfernt in einem schmucken, an ein Funkemariechen erinnerndes Kostüm an der Theke des Scout‘s Place in Windwardside auf Saba. „Unberührte Königin der Karibik“ nennt sich die Insel mit rund 1.500 Einwohnern selbstbewusst, die mit ihren Nachbarinseln Sint Maarten und Sint Eustatius zu den Niederländischen Antillen gehört.
Neben Barbara Tooten steht ihr Ehemann Wolfgang und wippt mit dem Fuß im Takt des Calipsos. Auch er ist karnevalistisch uniformiert. „Die Piraten von Saba“ bitten zum Tanz: Karibischer Fastelovend auf einer der „Inseln über dem Wind“. Und das auch noch mitten im Jahr. „Hier feiern die Menschen im Juli Karneval“, erzählt Wolfgang Tooten.
Die Kneipe hat sich inzwischen gefüllt, ein Band heizt mit Salsa, Calipso und Suka, wie die einheimische Musikvariante genannt wird, den Sabanesen ein. Nicht wenige von ihnen sind tatsächlich Nachfahren von Piraten, die nach der spanischen Conquista des 16. Jahrhunderts auf der Suche nach Beute die Karibik durchkreuzten.
Vor fast genau fünf Jahren setzten die Tootens zum ersten Mal ihre Füße auf die knapp 13 Quadratkilometer große Vulkaninsel. In der Tasche hatten sie einen Kaufvertrag für ein altes, leer stehendes Hotel. „Wir wollten zusammen etwas Neues anfangen“, erzählt Wolfgang, der seit vielen Jahren einen Tauchlehrerschein besitzt, „und ein kleines Hotel mit angeschlossener Tauchschule eröffnen.“
Kontakt über den Karneval
Neu anfangen mussten sie dann wirklich. Denn drei Monate vor ihrer Ankunft war der Tropensturm Lenny 30 Stunden lang über die Insel mit der höchsten Erhebung der Niederlande gerast. „Scout‘s Place“ glich danach einem Trümmerfeld. „Und wir saßen in Köln schon auf gepackten Koffern. Die Wohnung war gekündigt, ein Teil der Möbel verkauft, der andere schon verschifft“, erzählt Wolfgang Tooten. „Ein Anruf, und der Traum schien wie eine Seifenblase geplatzt zu sein“, ergänzt seine Frau und blättert in einem Fotoalbum. Das Dach des ehemaligen Gästehauses der Regierung war von den furiosen Winden weggetragen worden, Scheiben lagen zersplittert am Boden, Wände waren eingedrückt, der Pool mit Trümmern versifft und der Garten eine Wüste.
„Voll bekloppt“, versichern beide. „Aber wenn wir nicht bekloppt wären, hätten wir das auch nie geschafft.“ Und mitten im Chaos des Sturmdesasters habe „de Mam“ von Wolfgang Tooten in der oberen Etage des notdürftig bewohnbar gemachten Trümmerhaufens an der Nähmaschine gesessen und Gardinen und Stuhlbezüge gefertigt, erinnert sich eine Kölner Journalistin, die das Paar wenige Wochen später in Saba besuchte.
Als gute Seele hatte sie Wolfgang Tootens Mutter schon in Köln kennen gelernt. Da stand „de Mam“ im Kiosk von Tooten in der Südstadt zwischen Zeitungen und Magazinen, riesigen Gläsern mit bunten Gummibärchen und Mäusespeck sowie Lakritzschnecken, Zigaretten, Biobrot und Vollkornnudeln. Natürlich Kölsch und Ökowein. Ein Riesling wurde zu „echten Friedenspreisen“ als „hauseigener Schampus“ angeboten. „15 Jahre habe ich den Kiosk betrieben“, erzählt Wolfgang Tooten mit ein wenig Wehmut.
Und dann lernte er auf einer Einweihungsfete Barbara kennen. Die ehemalige Krankenschwester hatte gerade ein Eventagentur eröffnet: „Herzenswünsche“. Eine Ballonfahrt über Köln, ein ausgefallenes Geschenk? Nichts sollte unerfüllt bleiben, Barbara wollte es möglich machen. Zum Schluss blieb ein ganz anderer Herzenswunsch: gemeinsam woanders eine neue Zukunft aufzubauen. „Die Frau, die meinen Laden übernommen hat, erzählte uns von Saba, wo gerade eine Tauchschulenlizenz frei geworden war“, erzählt Barbara Tooten. So wurden aus den beiden Kölner Karnevalsverweigerern am Ende „Piraten von Saba“. „Der Karneval hat uns geholfen, mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Wir kannten ja keinen hier.“
Das war nicht ohne Risiko, hatten doch Tootens keinen Reiseveranstalter, der ihnen aus Deutschland Urlauber geschickt hätte. „Die ersten Gäste haben uns bei der Renovierung des Hauses geholfen.“ 13 Zimmer verteilen sich in dem weiß gestrichenen historischen Holzhaus mit den grün gestrichenen Fensterläden und den roten Dachziegeln. Heute bringt ihnen das Internet (www.sabadivers.com) die Kundschaft ins Haus. Auch aus Köln. Urlauber können auf Saba hoch hinauf auf den 887 Meter hohen Mount Scenerey, auf zwölf Wanderwegen die Insel durchkreuzen oder zwischen Unterseebergen tauchen. „Bei zwei Wochen Urlaub hat jemand, auch wenn er zwei Gänge macht, noch nicht alle Tauchplätze gesehen“, versichert Wolfgang Tooten. Manch einer der Kunden seines „Südstadt-Büdchens“ hatte er schon damals dazu gebracht, mit ihm zusammen in Tauchausrüstung die Baggerseen im Kölner Umland zu erkunden.
Der Dom über der Bar
„Es ist schon verrückt, wenn man das mit der Südstadt vergleicht. Nix mehr Kino, nix mehr Kneipentour und Bermudadreieck. Hier sitzt du im Garten, hörst Grillen und Laubfröschen und denkst: Bloß nicht mehr zurück“, sagt der 49-Jährige Tooten. „Ich kann mir zwar noch vorstellen, wie man auf dem Clodwigplatz steht und auf den Bus wartet.“ Aber das brauch ich nicht mehr.“
Barbara Tooten liebt es, die Türen ihres Hauses offen stehen lassen zu können – geklaut wird nicht. Auf Saba kennt jeder jeden, und die beiden Kölner sind längst Teil der verschworenen Gemeinschaft auf Sayba, wie die Insel lautsprachig von ihren Bewohnern genannt wird, geworden. „Nä, Heimweh haben wir nicht“, versichern beide, bevor sie sich mit einem Nachtpanoramabild von Köln, das sonst über der Bar hängt, auf der Terrasse ihres Hotels ablichten lassen. Hinter ihnen, zwischen bewaldeten Anhöhen, öffnet sich der Blick auf die Karibik, in unzähligen Blau- und Türkistönen changiert das Meer. Leider hat die Idylle einen kleinen Makel: „He fäält nur vum Balkon die Aussicht op d‘r Dom.“