: Das Mantra von der Kontinuität
Beim HSV wünscht man sich sehnlichst einen Trainer, der länger als ein Jahr bleibt. Aus dem englischen Team-Manager-Modell mit entsprechender Machtfülle erwächst auch nicht zwangsläufig ein Dauerengagement
In dieser Kolumne werden wir während der dunkelsten aller Jahreszeiten, der fußballlosen, nutzlose Worte über Erkrankungen und Verletzungen von Sportlern verlieren. Welche Erkrankung oder Verletzung es in diese Kolumne schafft, hängt weder von ihrer Häufigkeit, noch von ihrer Gefährlichkeit ab. Es herrschen hier überhaupt keine sachlichen Gründe sondern nur die reine Willkür des Autors. Als Spross eines menschlichen Vaters und einer göttlichen Mutter war Achilles sterblich. Seine Mutter versuchte ihn unverwundbar zu machen und tauchte ihn in den Styx, den Fluss, der die Unter- von der Oberwelt trennt. Was ja in Hamburg von der Elbe gilt. Nur die Stelle an der Ferse, an der sie ihren Sohn hielt, damit er nicht ersaufe, blieb vom Wasser des Styx unbenetzt. Nur hier war der Held verwundbar. Genau da traf ihn der Pfeil des Paris. Die Ferse ist es nicht, die den Sportler wurmt. Es ist die Sehne, die in einem dünnen Röhrchen läuft. Wenn die Sehne zu dick, oder das Röhrchen zu dünn wird, entzündet sich die Sehne. Dann schwillt der Bereich um die Sehne an, und: aua. Bedenklich wird die Verletzung, wenn es während des Trainings nicht besser wird. Achillessehnenriss muss wirklich nicht sein. Kommt oft bei älteren Hobbyfußballern vor. Beim Laufen ein plötzlicher Wadenschmerz, ein hässliches peitschenartiges Geräusch. Krankenwagen. Operation. Berühmte Opfer: Völler, Pacult, Matthäus. Uwe Seeler gilt als Erster, der nach einem Riss wieder kickte. Im Oktober 2008 traf es Thimothee Atouba. Nach einem halben Jahr spielte er wieder. ROGER REPPLINGER
VON ROGER REPPLINGER
Dietmar Beiersdorfer, der sportliche Leiter, murmelt es. Bernd Hoffmann, der Vorstandsvorsitzende, posaunt es aus. Der Aufsichtsratsvorsitzende Horst Becker brummt es: Kontinuität. Beim Hamburger SV spricht man von Kontinuität auf der Trainerposition. Weil sie nicht da ist.
Mit Thomas Doll, der, so war es mal geplant, auch 2009 noch beim HSV auf der Bank sitzen sollte, und in diesen Tagen den mittlerweile schon übernächsten Job – diesmal in der ersten türkischen Liga bei Gençlerbirligi Ankara – antritt, mit Huub Stevens, der nun bei Red Bull Salzburg arbeitet, und mit Martin Jol, der zu jedes niederländischen Trainers Traumverein Ajax Amsterdam wechselte, hat’s nämlich nicht geklappt mit der Kontinuität.
Der HSV hat das übliche Durchlauftempo, das teuer kommt, weil man Trainern, die man loswerden will, Geld geben muss, und für die, die man haben will, Ablösesummen zahlt. Auch für die Entwicklung der Mannschaft sind ständige Wechsel nicht von Vorteil. Neue Trainer sind eine neue Chance für Spieler, die mit dem alten nicht konnten: Jerôme Boateng und Piotr Trochowski etwa. Aber weil der neue Coach neue Vorstellungen hat, braucht er nicht nur neue Spieler. Jol nahm seinen Co-Trainer Željko Petrović nicht mit nach Amsterdam, doch Bruno Labbadia, der einen Vertrag über drei Jahre ohne Ausstiegsklausel beim HSV unterschrieben hat, wollte seinen alten Weggefährten Erdinç „Eddy“ Sözer. Labbadia soll sie nun bringen. Die Kontinuität.
Werder Bremen hat sie. Thomas Schaaf, seit 1999 Cheftrainer von Werder, nähert sich Matt Busby (1946-1969, Manchester United), Bill Shankly (1959-1974, FC Liverpool), Jock Stein (1965-1978, Celtic Glasgow), Alex Ferguson (1986, Manchester United) und Arsène Wenger (1996, FC Arsenal) – allesamt legendäre „Team-Manager“, die, wie in England üblich, die Funktionen des sportlichen Leiters und Trainers in einer (Macht-)Position vereinten.
Ist eine solche – aus deutscher Sicht – Ämterhäufung eine Bedingungen für Kontinuität? Nun, zumindest das Beispiel Thomas Schaaf in Bremen spricht dagegen. Seine ebenso vertrauensvolle wie effektive Zusammenarbeit mit Werders Sportdirektor Klaus Allofs zeigt, dass die Arbeitsteilung nicht notwendigerweise zu einer schwachen Stellung des Trainers und einer starken des sportlichen Leiters führt.
Es wird sich zeigen, ob Schaaf mit Allofs’ künftigem Assistenten Frank Baumann ebenso gut zusammenarbeiten wird. Dafür spricht schon mal, dass beide sich seit elf Jahren kennen – und dass Baumann so klug ist, seine neue Tätigkeit mit einer Pause zu beginnen, um seinen ehemaligen Mitspielern nicht von heute auf morgen in neuer Position gegenüberzutreten.
Kontinuität muss auch das Team Manager-Modell nicht bringen, wie Felix Magath beim VfL Wolfsburg bewiesen hat. Es gibt immer jemanden, mit dem man sich überwerfen kann, wenn man will. Die Vorstellung, Magath sei ein Alleinherrscher gewesen, ist angesichts eines Sponsors von der Größe des VW-Konzerns ohnehin absurd. Spätestens bei der Meisterfeier wurde deutlich, wer in Wolfsburg herrscht. Magath nicht. Armin Veh, Magaths Nachfolger, bekommt dessen Machtfülle, ist aber konzilianter. Magath wiederum erhält die Wolfsburger Machtfülle auch bei Schalke 04.
Der Rest der Liga setzt aufs kontinentale Modell. Bei Hannover 96, wo auch in der fußballfreien Zeit an Trainer Dieter Heckings Stuhl gesägt wird, resultiert dessen schwache Position aus der Art und Weise, wie der von jedem Fußball-Sachverstand freie Präsident Martin Kind den Club führt. Kind ist auf andere angewiesen, wenn er die Leistung der Mannschaft beurteilen will, weil er sich ein Urteil nicht zutraut. Das wissen Spieler und Zeitungen, die in Hannover mehr Einfluss haben als anderswo.
Für die Medien ist Kontinuität Gift. Es waren vor allem die Journalisten, die Schaaf und Hecking loswerden wollten. Ein neuer Trainer – und die Zeitung schreibt sich von alleine.
Als Labbadia vorgestellt wurde, wiederholte Hoffmann, dass der Verein zum Trainer stehen werde, auch wenn es „sportlich nicht so gut läuft“. Klang so, als fürchte Hoffmann, dass der HSV keine gute Saison spielt. Kontinuität zu beschwören ist leicht. Ob der hibbelige Hoffmann hinter Labbadia steht, wenn es schlecht läuft, sehen wir dann.
Allofs und Schaaf haben sie auch in dieser – für Werder schweren – Saison, hinbekommen, die Kontinuität. Belohnt mit dem DFB-Pokal. Wie schwer das war, kann man an Schaafs Falten und seinem Vollbart sehen. Nach der Saison wurde versucht, Schaaf nach Wolfsburg zu schreiben und zum HSV. Er schwieg und blieb.
So geht Kontinuität.