: Nicht einmal mehr Depression
Vier Jahre nach dem Bankenskandal hat sich Berlin in seiner Haushaltsnotlage eingerichtet: Selbst die Politik suggeriert nicht mehr ernsthaft Rettung
AUS BERLIN RALPH BOLLMANN
Eigentlich müsste die Hauptstadt längst in der Depression versunken sein. Mit mehr als 20 Milliarden Euro bürgt der klamme Stadtstaat Berlin mittlerweile für die Verluste der landeseigenen Bankgesellschaft – das entspricht einem kompletten Jahreshaushalt. Das Bundesland, das schon zuvor am Rand der Zahlungsfähigkeit operierte, ist seit Bekanntwerden der Bankaffäre im Frühjahr 2001 vollends pleite.
Das Kuriose ist nur: Der Stadt geht es seit vier Jahren besser denn je. Das Desaster bei der Bankgesellschaft, das die Hauptstädter doch eigentlich hätte deprimieren müssen, entfaltete den genau gegenteiligen Effekt. Es erlöste Berlin von den quälenden Spardebatten der Neunzigerjahre, als sich wechselnde Finanzsenatoren vergeblich um eine Sanierung des Etats bemühten. Als sich die Gesamtverschuldung durch den Bankskandal mit einem Schlag verdoppelte, wurde die völlige Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens für alle offenkundig.
Niemand verkörpert diesen Wandel besser als Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Als einfacher Abgeordneter und später als Fraktionsvorsitzender im Landesparlament nörgelte er einst so kenntnisreich wie kleinkariert am Finanzgebaren des christdemokratischen Koalitionspartners herum. Seitdem er – nun gemeinsam mit der PDS – selbst an der Regierung ist, gibt er sich mit derlei Nebensachen nur noch ungern ab – und sucht derweil als Partymeister gute Laune zu verbreiten.
Inzwischen hat die Stadtregierung Dinge getan, die einst als unvorstellbar galten. Sie hat zum Beispiel die Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt. Umso größer ist das Erstaunen, dass sich die maßlosen Untergangsszenarien aus den späten Neunzigern nicht bewahrheitet haben. Das Land ist pleite, aber die drei Opern spielen immer noch, und anders als von der lokalen Boulevardpresse bisweilen suggeriert, musste in den beiden Zoos noch kein Tier aus finanziellen Gründen notgeschlachtet werden.
Erstaunlich geräuschlos hat sich der Stadtstaat in den vergangenen Jahren von den Gepflogenheiten des alten Westberlin verabschiedet – der Sturz des örtlichen SPD-Chefs Peter Strieder, der beim Bau des Kulturzentrums Tempodrom in alter Manier gemauschelt hatte, war nur ein letztes Nebengeräusch.
Das Desaster bei der Bankgesellschaft war keineswegs die Ursache der Berliner Dauerkrise, sondern das augenfälligste ihrer vielen Symptome – das Symptom einer Stadt, in der es jahrzehntelang kein Gefühl für politische und finanzielle Verantwortung gab.
So war die Bankgesellschaft eine Fehlkonstruktion von Anfang an. Schon ihre Gründung durch den Berliner CDU-SPD-Senat am 1. Januar 1994 diente vor allem dem Ziel, ein Finanzdesaster zu verschleiern. Um die Misere bei der privatrechtlich organisierten Berliner Bank zu kaschieren, wurde das Institut kurzerhand mit der städtischen Sparkasse zur neuen Bankgesellschaft fusioniert – ein auch juristisch höchst fragwürdiges Modell.
Immer gewagtere Konstruktionen entwickeln, um alte Verluste zu verschleiern – das sollte sich in den Folgejahren geradezu als Lebensprinzip der neuen Bank erweisen. Um als Newcomer auf einem dicht besetzten gesamtdeutschen Markt ins Geschäft zu kommen, musste die Bankgesellschaft Bauprojekte finanzieren, vor denen die Konkurrenz wegen des hohen Risikos zurückschreckte. Als der ostdeutsche Immobilienmarkt in den späten Neunzigern zusammenbrach, wurden die faulen Kredite einfach in Immobilienfonds ausgelagert.
Um überhaupt Anleger für diese riskanten Fonds zu finden, wurde sie mit derart üppigen Renditegarantien und Rückkaufoptionen ausgestattet, dass sie de facto die Sicherheit eines Schatzbriefs boten – kombiniert mit den Steuervorteilen eines Immobilien-Investments. Die Anteile dieser „Sorglos-Fonds“ wurden – anders als oft behauptet – nicht nur an Prominente ausgegeben, sondern breit gestreut, mit allen Risiken für das landeseigene Institut und damit für die Berliner Steuerzahler.
Die Liste der Schuldigen ist lang, und sie reicht weit über den allmächtigen früheren CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky und seine Kollegen im Bankvorstand hinaus – auch wenn das Bankdesaster erst durch eine Parteispende zum Politikum wurde, die Landowsky von dem Empfängern eines Großkredits erhielt. Die Wirtschaftsprüfer drückten die Augen genauso zu wie der Berliner Senat, dem eine frisierte Dividende lieber war als ein ehrlicher Verlust.
Noch die Übernahme der Bankrisiken durch das Landesparlament war letztlich eine Fortsetzung dieser Politik. Für das Wohl des Stadtstaats wäre es wohl besser gewesen, die Bank einfach Pleite gehen zu lassen. Die Konten der Kleinanleger sind für einen solchen Fall abgesichert, nur die Zeichner der Immobilienfonds müssten die Verluste dann selbst tragen.
Neben dem drohenden Verlust der Arbeitsplätze waren es vor allem zwei Gründe, die aus Sicht der rot-roten Koalition gegen ein solches Szenario sprachen. Zum einen würde das klamme Berlin, das gerade bei den Karlsruher Verfassungsrichtern auf Bundeshilfen klagt, das System der öffentlichen Banken in Deutschland zum Einsturz bringen und sich damit endgültig die Sympathien der übrigen Bundesländer verscherzen. Zum anderen die Vorstellung, Berlin müsste wochenlang von Suppenküchen der Bundeswehr versorgt werden, weil mehr als zwei Millionen Sparkassenkunden vorübergehend nicht an ihr Geld kommen. Das wäre dann eine Partystimmung ganz eigener Art.