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Archiv-Artikel

Kirchen fordern Familienpolitik gegen Armut

Einträchtig für die Trächtigen am Aschermittwoch. Evangelische und katholische Kirche geißeln in Essen die Kinder- und Familienfeindlichkeit: Alleinerziehende und Großfamilien tragen in der Bundesrepublik ein höheres Armutsrisiko

Von CSC

RUHR taz ■ In der Sozialpolitik sprechen die beiden großen christlichen Kirchen zu Beginn der Fastenzeit mit gleicher Zunge: Beim „Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen“ in Essen sparten weder der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Wolfgang Huber noch der katholische Ruhrbischof Felix Genn mit Kritik an der sozialen Situation in der Bundesrepublik. Vor allem Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende seien einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt. „Das Gesicht der Armut ist zunehmend jung“, sagte Genn. Huber kritisierte in der Pfarrkirche St. Gertrud die Familienfeindlichkeit, die sich in der schwachen Geburtenrate manifestiere: „Die Gesellschaft ist aus den Fugen geraten, wenn 100 Erwachsene nur noch 63 Kinder und 39 Enkel haben“.

Huber bezog sich auf den noch nicht veröffentlichten Armutsbericht der Bundesregierung: Dem habe er entnehmen können, dass 14 Prozent der Familien in Deutschland unter die Armutsgrenze gerutscht sind. Seit 2001 sei diese Zahl noch einmal um 1,3 Prozent gestiegen. Ruhrbischof Genn sprach von einem skandalösen Umstand – auch die jüngsten Reformen des Gesundheitswesens würden die soziale Schieflage verstärken: „Praxisgebühren und Arzneikostenbeteiligungen sind zumindest sehr fahrlässig mit Blick auf die in Armut lebenden Menschen bedacht worden“, sagte Genn. Seine Kirche wolle das nicht länger hinnehmen.

Beide Konfessionsvertreter forderten eine familienfreundlichere Politik von Staat und Politik. Der EKD-Vorsitzende verlangte deshalb eine Anhebung des Kindergeldes, Kinderlose sollten hingegen mit höheren Sozialbeiträgen belastet werden: „Mit einem Existenz sichernden Kindergeld müssen Kinder von Sozialhilfe oder ALG II-Bezug unabhängig gemacht werden“, so Huber. Für ihn würden Familien „skandalös“ doppelt belastet durch Beiträge für die Sozialversicherung und die Erziehung von Kindern: „Wer Schweine aufzieht, ist ein produktives, wer Menschen aufzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft“, rief der evangelische Bischof.

Ruhrbischof Genn entwarf die Umrisse ein kinderfreundlicheren Gesellschaft, die familiengerechtere Arbeitszeiten und mehr Kinderbetreuungsplätze anbiete. Weil Armut vor allem Familien träfe, müsse eine Politik gegen die Armut in erster Linie Familienpolitik sein, die die Lasten gesellschaftlich gerechter ausgleiche und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht.

Der diesjährige Sozialpolitische Aschermittwoch stand unter dem Motto „Familien in sozialer Schieflage?“. Beteiligt war diesmal auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Deren Referatsleiterin im Wirtschafts- und Sozialpolitischen Institut, Christina Klenner, bestätigte in ihrem Vortrag die deutliche materielle Benachteiligung vieler Familien im Vergleich zu kinderlosen Paaren. Mit dem sozialpolitischen Aschermittwoch versuchen rheinische Kirche und das Bistum Essen ein Gegengewicht zum parteipolitischen Aufgalopp nach dem Karneval zu setzen. Seit 1998 findet die ökumenische Veranstaltung im Ruhrgebiet statt. CSC