: Sozialer Durchblick
ARMUT IN BREMEN Die rot-grüne Landesregierung legt erstmals einen Bericht zur Armut vor. Gegen sie unternehmen kann die Politik nach eigenem Bekunden aber nur wenig
VON JAN ZIER
Das Wichtigste an dem jetzt vorgestellten Armuts- und Reichtumsbericht für Bremen ist der Umstand, dass es ihn überhaupt gibt. Von ganz offizieller Seite, erstellt im Auftrag der rot-grünen Landesregierung. Die große Koalition hat es bisher nie für nötig befunden, so etwas zu veröffentlichen. Also haben andere das Jahr für Jahr gemacht, vor allem die Arbeitnehmerkammer. Die Zahlen, die der Bericht enthält, sind deshalb nicht neu. Das Maßnahmenpaket, das der Senat aus ihnen ableitet, ist lang, aber unkonkret.
Doch nun ist es offiziell: Es gibt Armut in Bremen. Je nach Rechenart besteht für 129.000 oder sogar 179.000 der 663.000 BremerInnen ein „Armutsrisiko“. Das ist mindestens jeder fünfte. Zugleich ist heute fast ein Drittel der Kinder im Lande von Transferleistungen abhängig und lebt an der Armutsschwelle. Nirgendwo sonst in der Republik sind so viele Menschen ohne einen allgemeinen Schulabschluss wie in Bremen, nirgendwo leben mehr Menschen ohne eine Berufsausbildung, nirgendwo gibt es so viele überschuldete oder von Überschuldung bedrohte Privathaushalte.
Die Folgen sind vielfältig, von der Säuglingssterblichkeit, die in Bremen zum Teil mehr als doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt, bis hin zur Lebenserwartung: Im reichen Stadtteil Schwachhausen werden die Männer im Durchschnitt acht Jahr älter als im die armen Gröpelingen. Etwa jeder zweite, der in einem der armen Stadtteile lebt, hat einen Migrantionshintergrund, beinahe jeder fünfte verlässt die Schule ohne Abitur.
Die Zahl derer, die in Bremen Sozialleistungen beziehen, ist von knapp 88.000 im Jahr 2000 auf mehr als 111.000 im Jahr 2007 gestiegen. Die Zahl der arbeitslos Gemeldeten blieb im gleichen Zeitraum mehr oder minder konstant. Doch während es in Schwachhausen beispielsweise nur drei Prozent Hartz-IV-EmpfängerInnen gibt, sind es in Gröpelingen 27 Prozent. Die Schere zwischen arm und reich wächst – auch wenn der Bericht selbst über Reichtum in Bremen nur wenig aussagt. Er ist statistisch schlecht erfasst.
Für bis zu 18.000 Langzeitarbeitslose in Bremen sieht auch Sozialstaatsrat Joachim Schuster (SPD) „keine Chance“ auf Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkt. Ohnehin, sagt Schuster, könne man in Bremen politisch „nur sehr begrenzt“ etwas unternehmen. Hauptursache der Armut sei eben die Arbeitslosigkeit – „und da kommen wir so gut wie nicht ran“, sagt Schuster.
Entsprechend liest sich auch das zwölfseitige Papier, das aus allen sieben Senatsressorts die Maßnahmen zur Armutsbekämpfung zusammenträgt. Allerdings handelt es sich dabei im besten Fall um „weit gediehene Vorschläge“, manchmal aber auch nur um als „sinnvoll und notwendig erachtete Planungen“ oder „Forderungen“ – nicht zuletzt an Dritte, vor allem an den Bund. Der soll zum Beispiel den Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde einführen.
Auch eine Grundsicherung für Kinder, wie sie Sozialverbände fordern, hält Schuster für eine „geniale Idee“. Zu den konkreteren Vorhaben des Landes gehört das Ziel, die Betreuungsquote für unter Dreijährige bis 2013 auf 35 Prozent auszubauen. Zum Vergleich: 2007 konnten in Bremen nur sieben Prozent aller Kids unter drei Jahren gefördert werden. Zudem soll die Zahl derjenigen 15- bis 17-Jährigen, die keinen Hauptschulabschluss erreichen – derzeit sind das neun Prozent – bis 2012 halbiert werden.