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Archiv-Artikel

Gedenkprogramm zertrümmert

Im Vordergrund des Jahrestages steht nun kein reflektierendes Erinnern mehr. Wegen der Neonazi-Aufmärsche sagt eine jüdische Referentin ab

Die Neonazis planen für Sonntag einen „Trauermarsch“. Die Antifa titelt: „No tears for Krauts“

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Eigentlich hat das Gedenken ein Programm, wie man es sich wünschen kann. Ein Kolloquium in der Synagoge und der gegenüber liegenden evangelisch-reformierten Kirche um Friedensfragen und bürgerschaftliches Engagement. Buchpremieren und Veranstaltungen zur Reflexion des Infernos in den Künsten, Bilder über die zerstörte Partnerstadt Hamburg im Rathaus und eine ausgewogene Ausstellung über „Sachsen im Bombenkrieg“ im Militärhistorischen Museum.

Aber der „Bombenholocaust“-Auftritt der NPD im Sächsischen Landtag und die angekündigten Neonazi-Aufmärsche haben bewirkt, dass es schwer wird mit dem ruhigen und reflektierten Gedenken. Den Tiefpunkt erreichten die Vorbereitungen für das Gedenkwochenende am Donnerstag, als bekannt wurde, dass die jüdische Autorin und Holocaust-Überlebende Ruth Klüger abgesagt hatte. Die meist in den USA lebende Germanistin wollte am Sonntag einen Vortrag über den berühmten jüdischen Zeitzeugen Victor Klemperer halten. So ein Vortrag müsse aber „unweigerlich“ zu einem politischen Spektakel werden, schrieb die 74-Jährige, wenn zugleich „auf der Straße tausende judenfeindliche Parteianhänger demonstrieren“.

Tatsächlich rechnet die Polizei mit mehr als 3.000 Neonazis. Am Sonntag um 12 Uhr will die rechtsextreme „Junge Landsmannschaft Ostpreußen“ einen „Trauermarsch“ vor dem Landtagsgebäude starten – der vorläufige Höhepunkt der Instrumentalisierung des Gedenkens. Der einseitige Opferkult dient den Rechtsextremen gleichzeitig als Gelegenheit für eine Machtdemonstration der sich formierenden „Nationalen Opposition“ mit ihren Vertretern Udo Voigt, Holger Apfel, Franz Schönhuber und Gerhard Frey.

Die Stadtverwaltung hat strenge Auflagen gemacht – keine Springerstiefel, keine Bomberjacken, kein Marschieren in Blöcken. Auch Frauenkirche und Synagoge dürfen die Rechtsextremen nicht passieren. Ein generelles Verbot hat die Stadt allerdings gar nicht erst versucht. „Der Gesichtsverlust für die Demokratie wäre größer, wenn uns das Gericht nichtrechtsstaatliches Handeln bescheinigen müsste“, erklärt Rathaussprecher Kai Schulz.

Schon heute startet um 15 Uhr die Antifa eine Demonstration am Kulturpalast. Motto: „No tears for Krauts“. Bezeichnend für ihre Sichtweise ist die einseitige deutsche Täterperspektive. Bomberpiloten und Soldaten der Roten Armee werden ausschließlich zu Helden der Befreiung vom Naziterror. Antifa-Sprecherin Ellen Mertens fordert eine Abschaffung der „Trauerfestspiele“. Für Zündstoff dürfte die Auflage der Stadt sorgen, am Rande der Demo auch rechtsradikale Störer zuzulassen. Umgekehrt haben linke Gruppen für Sonntag „dezentrale Aktionen“ am Rande des Nazi-Aufmarschs angekündigt.

Ein ähnliches Problem gibt es auch bei der traditionellen Kranzniederlegung der Stadtspitze auf dem Heidefriedhof am Sonntagvormittag. Schon in den vergangenen Jahren mischten sich immer häufiger nationalistische Kräfte unter die Teilnehmer und veranlassten die Offiziellen zu baldigem Rückzug. Sogar der von Bürgerinitiativen und Prominenten unterstützte Aufruf, eine weiße Rose zu tragen, ist vor Missbrauch nicht sicher. Im Internet werden Teilnehmer des Zuges der „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“ aufgefordert, desgleichen zu tun.

So bleibt der Widerstand den Bürgern der Stadt überlassen. Zum „GehDenken“ ruft ein Bündnis von Gewerkschaften und linken Parteien auf. Der Zug beginnt allerdings erst um 16 Uhr am Albertplatz. Symbolische Aktionen wie ein riesiges Kerzenkreuz auf dem Theaterplatz und ein Schriftzug „Diese Stadt hat Nazis satt“, ebenfalls aus Kerzen, münden in eine Gedenkveranstaltung der Interessengemeinschaft 13. Februar um 19 Uhr auf dem Altmarkt. Danach beginnen die traditionellen Konzerte, Gottesdienste und Gebete, die vor allem von einer bildungsbürgerlichen Schicht getragen werden. Dafür wird die Frauenkirche erstmals geöffnet.