: Kita-Frieden nur auf dem Papier
Kita-ErzieherInnen beklagen hohe Arbeitsverdichtung durch neue Betreuungsschlüssel. Im Hort in der Schule Eckerkoppel zum Beispiel betreuen zwei Kollegen jetzt 50 Kinder. Beschäftigten-Bündnis erhebt Umfrage zur Streikbereitschaft
Von Kaija Kutter
„Die Zeit der Unruhe und Unsicherheit ist vorbei“, hatte Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram Anfang Dezember erklärt, nachdem sie sich mit den großen Kita-Verbänden auf „Eckpunkte“ geeinigt hatte. 3.000 Kinder mehr im Jahr 2005, dafür aber 341 Millionen Euro im Etat, so lautete der Kompromiss, zu dem sich die CDU-Senatorin in letzter Minute bewegen ließ.
Doch was auf den ersten Blick nicht so dramatisch aussah – eine Anhebung der Gruppen um bis zu 2,5 Kinder –, empfinden die ErzieherInnen vor Ort als so starke Belastung, dass bereits eine Streikumfrage im Umlauf ist. „Auf dem Papier scheint es o.k., aber was in den Einrichtungen ankommt, ist fürchterlich“, sagt der GEW-Fachgruppensprecher Jens Kastner. Denn das im Sommer 2003 eingeführte Gutscheinsystem kennt keine Gruppen mehr, sondern nur Stunden pro Kind. Hortgutscheine zum Beispiel gibt es je nach Elternarbeitszeit für fünf, für drei und nur für zwei Stunden täglich. Da es aber selbst Teilzeitkräfte nur als ganze Menschen gibt, sind am Ende nicht zwei, sondern fünf Kinder mehr in einer Gruppe.
„Das Wort Bildung können wir kaum mehr in den Mund nehmen“, sagt nun beispielsweise Wiebke Baumgart, die Leiterin eines Horts an der Schule Eckerkoppel in Farmsen. Statt früher 41 kommen heute 50 Kinder jeden Mittag in die kleine Kita direkt am Schulhof, um zu essen, zu spielen und Hausaufgaben zu machen. Die Kleinen flitzen um die beiden Erzieherinnen herum, die atemlos versuchen, die Bande in Schach zu halten. „Nach dem Essen schicken wir sie erst mal raus, dann drehen wir alle 20 Minuten eine Runde“, beschreibt Baumgart ihre Arbeit. Zeit, mit einzelnen Kindern mal ein Brettspiel zu spielen, „gibt es nicht“. Und auch bei den Hausaufgaben sei eine individuelle Hilfe nicht mehr leistbar. „Es gibt dann durchaus mal weinende Kinder“, sagt Baumgart. „Andere sitzen nur da und wissen nicht weiter. Mit Glück fällt es mir auf.“
Das war mal anders. Noch vor zwei Jahren hatte der Hort fünf Teilzeitkräfte, die sich in insgesamt 131 Wochenstunden die Arbeit im Früh- und Nachmittagsdienst teilten. „Damit keine von uns gehen musste, haben wir vormittags zusätzlich eine Kindergartengruppe eingerichtet“, berichtet Baumgart. Zusammen mit den dortigen 19 Kindern betreut das gleiche Team heute 28 Kinder mehr als vor zwei Jahren.
Erzieherin Anja Achtnig wird sogar doppelt eingesetzt, morgens ist sie Kindergärtnerin bei den Kleinen, mittags verteilt sie Fisch und Reis an die hungrigen Schulkinder. „Die Belastung ist ein Hammer“, sagt sie. Mal ist sie von sechs Uhr früh bis 15 Uhr, mal von 10 Uhr vormittags bis 18 Uhr im Kindereinsatz. Als sie dann im Januar 14 Tage krank war, gab es keinen Ersatz. „Unsere Stellen sind ja wenigstens erhalten“, sagt Wiebke Baumgart. Da gehe es anderen Horten mit nur einer festen Mitarbeiterin schlimmer. Doch für jede Kita kann sich die Lage monatlich ändern – das Gutscheinsystem erfordert extreme Flexibilität. Aber wie können Pädadogen gute Arbeit machen und Beziehungen zu Kindern aufbauen, wenn sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben?
Eine Frage, die am Donnerstag auf einer CVJM-Veranstaltung zu Bildung in Kitas an Beate Klipp von der Sozialbehörde gerichtet wurde. Den ErzieherInnen im Saal stellte diese Kontinuität in Aussicht. Zwar komme es durch die neuen Standards jetzt zu „Verwerfungen“. Es sei jedoch „unrealistisch, dass dies so weitergeht“.
„Kontinität auf dem jetzigen Niveau“ jedoch, kontert Wiebke Baumgart, „ist ein Scherz.“