: Aus dieser Kiste kommt noch was
FOLK UND TWEE Das feine bayerische Label Morr Music schickte ein deutsch-isländisches Bandpaket ins Lido. Die Sympathiewerte wurden gehalten
Dienstagabend in Berlin: Der rüstige Neil Young bespielt das Raumschiff auf der Friedrichshainer Spreeseite; die alternde Metalband Mötley Crüe feiert ihre x-te Reunion unweit des flugzeugfreien Stadtflughafens; und Faith No More, die einst nicht nur den Zustand unserer Mütter be-, na ja, sangen, sondern für alle möglichen Kompensationskanäle den blutdurchtränkten Soundtrack lieferten, spielten geldgeil auf der großen Bühne draußen vor der Stadt. Wo aber geht der kunstfürchtige Rezensent hin? Richtig, ins Lido, zum Morr-Music-Abend.
Klein, aber fein
Morr Music ist ein kleines, feines Label, das den kurzen Weg von Bayern in die Hauptstadt gefunden hat und heuer sein zehnjähriges Bestehen feiert. Veröffentlicht hat es in den Jahren allerlei verschrobenen Kunstpop, Postrock und Elektronika. Namen wie Tarwater, Isan, Masha Qrella, Tied & Tickled Trio, aber auch The American Analog Set seien hier genannt. In letzter Zeit wurde es etwas still um den Laden, aber das mag nur ein subjektiver Eindruck sein. Aber fragen durfte man sich schon, was aus der schmucken Kiste noch kommen könnte.
Nun, gekommen sind zwei isländische und ein deutsches Popunternehmen, und zusammen haben sie eine Frühsommerclubtour hingelegt, die an diesem Dienstagabend im luftigen, angesichts obiger Konkurrenz ordentlich besuchten Lido ihren Abschluss fand. Den Anfang machten Borko. Borko sind einerseits ein Quintett, andererseits ist Borko ein knuffeliger Mann mit hoher Stirn und Bart, einem sperrigen Humor und demselben Akzent wie Björk und Emilíana Torrini. Nur dass er bei ihm nicht so sexy klingt. Borko macht oder machen gut durcharrangierten Kunstpop, mit Anleihen bei Subgenres, zum Beispiel dem Reggae. Das erinnerte sehr an den Akademiepop von Get Well Soon, war also durchaus schön und mehrschichtig und von latenter, sich nicht aufdrängender Melancholie.
Die Mitte dieses bunten Abends gestalteten Robert Kretzschmar, Markus Hübner und Ella Blixt aus Berlin. Sie spielten mit Bass, Schlagzeug und Keyboards und haben sich den hübschen Namen It’s A Musical gegeben. Im Wesentlichen hübsch ist auch ihre Musik: Weitgehend harmloser Studentenpop mit großer Nähe zum Twee. Immerhin haben sie einen Keyboardsound, der dem der legendären Young Marble Giants sehr ähnlich ist. Und sie singen zweistimmig. Haben mit „The Music Makes Me Sick“ sogar einen kleinen Hit im Gepäck. Und eine dermaßen beschwingte Nummer wie „Bad Day“, die allerlei Gründe für schlechte Laune aufreiht und im Refrain „today has been a bad day“ sagt, muss man auch erst mal hinkriegen. Wo Borko sich ausschweifend gab, hielten It’s A Musical sich allerdings erstaunlich kurz.
Der Wackelkontakt
Mit einem anderen Problem musste sich Sin Fang Bous herumschlagen. Die Band kommt wie Borko aus Reykjavík und teilt sich mit ihm einige der Musiker. An den nicht weniger als drei Mikros vorne stand Sindri Mar Sigfusson, ein junger Mann mit Pilzkopffrisur und verbotenem Norwegershirt, der unter einem Wackelkontakt in den Tonabnehmern seiner Klampfe zu leiden hatte, worunter das Set ein wenig litt. Die elegisch-sanften Folknummern, die er mit vierfacher Begleitung darbrachte und die in manchen Momenten ebenso nach Twee à la Belle & Sebastian, in anderen nach den Fleet Foxes klangen, kamen nicht recht zur Entfaltung.
Sympathisch war aber auch das. Überhaupt, Sympathiewerte hat Morr Music keine eingebüßt. Vielleicht wurde etwas weniger Wagemut als gewohnt gezeigt, aber das kann sich auch wieder ändern. Erstaunlich genug, dass bei all dem kursierenden Krisengerede Morr Music von keinerlei Krise tangiert zu sein scheint. Hoffen wir, dass das auch zukünftig so bleibt. RENÉ HAMANN