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Archiv-Artikel

Lieder von Waffen

Keine Archivschnipsel, keine politischen Analysen: „El Inmortal“ (Forum) zeigt Nicaragua nach dem Bürgerkrieg

Von den Abgründen der Sprache: Im Spanischen heißt der Bürgerkrieg „la guerra civil“. Man muss sich den zynischen Widerspruch dieses Begriffes einmal deutlich vor Augen führen: Als ob es so etwas jemals geben könnte, einen Krieg, der sich „zivilisiert“ führen ließe. Nirgendwo auf der Welt, auch nicht in Nicaragua. Es gibt kein Außerhalb des Krieges, kein Rückzugsgebiet, nur ein Entweder-Oder, und der Riss geht nicht nur durch eine Gesellschaft hindurch, er spaltet Familien, macht aus Brüdern Feinde.

Wie die Söhne und Töchter der Familie Rivera, die im April 1983 buchstäblich zwischen die Fronten geriet, als ihr Haus plötzlich mitten im Zentrum eines blutigen Gefechtes zwischen Soldaten der Contras und der Frente Sandinista lag. Die Contras verschleppen die Kinder, die Mutter setzt ihr Leben aufs Spiel und holt einen der beiden Zwillingsbrüder zurück. Eine mutige Tat. Später wird dieser Sohn auf Seiten der Sandinisten kämpfen: gegen seine eigenen Geschwister.

Welche Entscheidungen kann man treffen, in einer Welt, die nur falsche Entscheidungen zulässt? Regisseurin Mercedes Moncada Rodríguez, die in den Achtzigerjahren den Wahnsinn mit ihrer Familie in Nicaragua erlebte, unternimmt mit „El Inmortal“ keine historische Aufarbeitung des Bürgerkrieges. Sie präsentiert keine Archivschnipsel, keine politischen Analysen, sondern lässt die Menschen zu Wort kommen, die der Krieg zu Opfern machte. Sie zeigt ihre Gesichter, ihre Gesten: Wie sie leben, in ärmlichen Behausungen aus Lehm und Holz, Jahre nach dem Ende der Kriegs, der für sie kein Ende finden will, da er die Gegenwart ihres Lebens noch vollständig durchdringt. Wie man sein Gewehr zerlegt, es reinigt und prüft, haben die Geschwister nicht verlernt. Jeder Handgriff ist eine Erinnerung. Dazu läuft ein bizarrer Soundtrack, ein Lied mit der Melodie einer Volksweise, dessen gereimte Verse Anweisung geben, wie eine Waffe in Stand zu halten ist.

Zeigen, nicht erläutern: Moncada Rodriguez hat einen suggestiven Film gemacht über das Leben in der Nachkriegszeit, die noch unter Schock steht. Von vielem wird gesprochen, doch manchmal auf seltsam unbeteiligte Weise. Die Schwester erzählt, sie ging freiwillig mit, um auf den jüngeren Bruder aufzupassen. Auch sie wird an der Front schießen, aber Frauen werden weniger als Kämpferinnen gebraucht denn als Geschenk, das männliche Offizieren zu den Soldaten weiterreichen, von einem zum nächsten. Sie spricht nicht erzürnt, von Vergewaltigung und Zwang, sondern wie von etwas, das als normal gelten darf, weil es die Normalität des Krieges war. Worte reichen nicht heran. Vielleicht wurde schon zu viel darüber geredet oder vielleicht noch nicht genug.

Dem Pathos, mit dem Bilder und Töne montiert werden, möchte man sich als Zuschauer gerne entziehen, auf kritische Distanz gehen, reflektieren, statt vorgeführt zu bekommen. Aber wo wäre der Raum dafür? Der Krieg ist die Atmosphäre, die jeden in dem zerstörten Land noch umgibt. Die Toten, die verwest sind, sind die Erde geworden, auf der die Überlebenden heute stehen. DIETMAR KAMMERER

„El Inmortal“, 16. 2., 17 Uhr, CineStar 8; 17. 2., 17 Uhr, Babylon; 18. 2., 20 Uhr, Arsenal