Durchs Netz geflattert

IRAN Die Presse darf nicht mehr berichten. Doch über Twitter, YouTube oder Facebook verbreiten die Demonstranten selbst ihre Nachrichten – trotz massiver Drohungen

„Wer hätte gedacht, dass wir eine global so wichtige Rolle spielen könnten“, fragt Firmengründer Biz Stone

VON BEN SCHWAN

„Was machst du gerade?“ – wer diese Frage beim Internetkommunikationsangebot Twitter beantwortet, um der Welt seine aktuelle Stimmungslage mitzuteilen, dürfte wohl eher selten die Teilnahme an einer Revolution zu verkünden haben. Unter dem Stichwort „#iranelection“, das seit Ende vergangener Woche in vielen tausend Botschaften („Tweets“) des Dienstes vorkommt, passiert aber gerade genau das: Twitter wird als aktuelles Informations- und Vernetzungsmedium der Opposition eingesetzt, nachdem die iranische Regierung zahlreiche andere Internetangebote gesperrt hat, um eine Diskussion über das umstrittene Präsidentschaftswahlergebnis zu verhindern.

Die jeweils 140 Zeichen langen Statusmeldungen dienen dazu, der Welt mitzuteilen, was im Iran passiert, während die Weltpresse aus dem Land gedrängt wird. Da erfährt man dann beispielsweise, dass Bilder von Veranstaltungen der Unterstützer des konservativen Wahlsiegers Ahmadinedschad offensichtlich mit Photoshop manipuliert wurden, damit sie nach mehr aussehen. Oder dass Teile der iranischen Fußballnationalmannschaft bei einem anstehenden Länderspiel gegen Korea grüne Bänder tragen wollen – in Anspielung auf den Reformkandidaten Mir Hossein Mussawi. Dass die Armee gegen die Protestler zieht, war ebenfalls früh in dem Kommunikationsdienst zu lesen – und auch, dass zwischenzeitlich alle Mobilfunknetze in Teheran blockiert worden waren. Twitter-Nutzer aus dem Ausland geben Tipps, wie man die Zensur des Regimes technisch umgehen kann oder wie man sich am besten gegen Pfefferspray schützt.

Twitter ist bei den Protesten im Iran inzwischen so wichtig, dass das US-Außenministerium den Betreiber des Dienstes gebeten hat, Wartungsmaßnahmen, die die Nutzung für eine oder mehr Stunden unterbrochen hätten, zunächst zu verschieben. Dem kam man nach, sie erfolgten zu nachtschlafender Zeit im Iran. Seither ist der Dienst mit einer noch schnelleren Anbindung versehen. „Wer hätte gedacht, dass unsere zwei Jahre alte Firma eine global so wichtige Rolle spielen könnte, dass Regierungsoffizielle unsere Bedeutung unterstreichen?“, sagt Firmengründer Biz Stone.

Twitter ist dabei nur eine Basis der iranischen Protestbewegung, die von einer jungen, Internet-affinen Generation getragen wird. Beim Fotodienst Flickr tauchen unterdessen zahllose Bilder der Proteste aus dem Iran auf – teilweise geschmuggelt über verschlungene Wege, denn das Angebot ist offiziell geblockt. Auf YouTube gibt es unterdessen Videos zu sehen, deren Intensität keine Nachrichtenagentur liefern könnte.

Dass das Internet bei den iranischen Präsidentschaftswahlen eine wichtige Rolle spielen würde, war schon im Vorfeld klar geworden: Kurz vor dem Urnengang entschied sich das Regime, das soziale Netzwerk Facebook zu blockieren, indem sich viele Anhänger des Reformkandidaten Mussawi gesammelt hatten. Eine Anti-Ahmadinedschad- Gruppe mit dem Titel „Ich wette, dass ich eine Million Menschen finde, die ihn nicht mögen“ hatte in kurzer Zeit 40.000 „Fans“ versammeln können. Ironie der Geschichte: Auch einige Ahmadinedschadanhänger versuchten, Facebook im Wahlkampf zu nutzen, was nun nicht mehr möglich war. Etwas später wurde die Sperre dann wieder aufgehoben.

Politisierung 2.0

Es ist klar, dass die starke Politisierung des Web 2.0 in einem so unfreien Land wie dem Iran stattfindet. Es ist auch nicht das erste Mal, dass digitale Vernetzungsdienste zu politischen Zwecken verwendet werden. Auch in Moldawien beispielsweise organisierten Oppositionelle ihren Widerstand mit Twitter.

In Deutschland wiederum ging eine Petition gegen die umstrittenen Internetsperren der Bundesregierung mit über 134.000 Unterzeichnern in dieser Woche zu Ende. Sie fand ebenfalls dank Twitter, Facebook und der Aufklärungsarbeit in den Blogs derart enorme Unterstützung. Tatsächlich gab es in den letzten Tagen auch dank Hinweisen auf Twitter einen erneuten „Push“. Geholfen hat es nichts: Das Gesetz wird wohl heute leicht verändert durchgehen, was für die Aktivisten den Beschluss des Aufbaus einer Zensurinfrastruktur bedeutet.

Im Iran sieht es trotz starker Vernetzung für die Opposition nicht gut aus: Die Mullahs gehen gegen die Bevölkerung vor und versuchen, durch Informationssperren möglichst wenige Nachrichten nach außen dringen zu lassen. So wollen sie die Bewegung aussitzen und letztlich ersticken, die mächtigen Streitkräfte drohen bereits mit hartem Durchgreifen gegen Onlinemediennutzer. Gäbe es das Internet nicht, wäre es schon viel früher gelungen.