Über den Umweg des Befremdens

DOKUMENTARFILM Die kontroversen Filme des US-Regisseurs Errol Morris zeigt eine Werkschau im Zeughauskino. Mit seiner Kamera stellt Morris für die Protagonisten einen Rahmen her. Sie reden sich um Kopf und Kragen

In „Mr. Death“ porträtiert Morris einen Mann, der den elektrischen Stuhl weiterentwickeln will und den Holocaust leugnet

VON BERT REBHANDL

In einer Abdeckerei möchten nur wenige Leute arbeiten. Aber irgendwo müssen tote Tiere doch hin, man kann sie nicht einfach in die Mülltonne werfen oder im Garten vergraben, zumal wenn es sich um größere Exemplare wie Schafe, Pferde oder gar einen Elefanten handelt.

Floyd McClure, Bürger der kalifornischen Gemeinde Los Altos, hatte in den Siebzigerjahren eine schicksalhafte Idee („a Kismet idea“). Er wollte einen Tierfriedhof gründen, eine letzte Ruhestätte für die besten Freunde der Menschen.

Das Pathos, mit dem er den Moment seiner Inspiration in dem Film „Gates of Heaven“ (1978) von Errol Morris schildert, wirkt typisch amerikanisch. McClure versteht sich als Pionier, als Marktwirtschaftler, der ein Bedürfnis entdeckt, zu dem er nun das passende Produkt anbieten wird. Er begibt sich damit in Konkurrenz zu den professionellen Abdeckern, die Talg und Tiermehl herstellen, wo er mit kruder Symbolik ein Andenken erzeugt. „Gates of Heaven“ erzählt aber vor allem, wie Floyd McClures Idee selbst zwischen die Mühlsteine des Kapitalismus gerät. Investoren wollen, dass er so viele Tiere wie möglich in ein Grab steckt, sie sind an Effizienz interessiert, wo der Tierfriedhof seinem Gründer doch vor allem der Bewältigung eines Traums dient.

Morbide Heiterkeit

McClure hatte als Kind bei einem Besuch in einer Abdeckerei einen Schock erlitten, noch viele Jahre später muss er bei einer Erinnerung daran den stärksten möglichen Vergleich wählen: „diese Gaskammern“ der Tierverwertung sind ein Menetekel unserer Zivilisation. Es gibt viele Zugänge zum Werk des amerikanischen Dokumentaristen Errol Morris. „Gates of Heaven“ ist einer der schlüssigsten, denn hier wird schon der eigenwillig komödiantische Aspekt sichtbar und hörbar, den Morris vielen seiner Themen abgewinnt. Es ist eine morbide Heiterkeit, die er entstehen lässt, und nicht selten wird ihm seine Position der scheinbaren Ungerührtheit, mit der er sich Leute vor der Kamera ins Verderben reden lässt, als Zynismus ausgelegt. Dabei ist Morris vielleicht mehr als die meisten Dokumentarfilmer selbst ein Erzähler, ein Schöpfer einer Welt, in der die moralischen Begriffe an die kreatürlichen Grenzen stoßen.

Nicht selten wird Morris seine scheinbare Ungerührtheit als Zynismus ausgelegt

Flüssige Montage

Was soll man zum Beispiel über einen Mann wie Fred Leuchter sagen, den Morris 1999 in „Mr. Death – The Rise and Fall of Fred A. Leuchter Jr.“ porträtiert hat? Ein Mann, der es zu seiner Sache gemacht hat, den elektrischen Stuhl weiterzuentwickeln, der in Auschwitz selber nachmessen will, warum seiner Meinung nach dort keine industrielle Tötung von Juden möglich war, ein haarsträubend naiver „Experte“, der den Kontext seines Tuns nicht einmal in Ansätzen überblickt. Morris schafft diesen Kontext, aber er bleibt dabei so nahe an seinem Protagonisten und schafft eine so flüssige Montage der absurdesten Szenen, dass seine persönliche Position gegenüber Leuchter undurchsichtig bleibt.

Er beute aus, heißt es häufig, er exponiere Menschen, die vor der Kamera eigentlich zu schützen wären. Das ist ein plausibles Argument, das aber darüber hinwegsieht, dass Film nicht von vornherein ein demokratisches Medium ist, in dem die Kommunikation mit dem „Anderen“ auf eine gemeinsame Ebene der Verständigung zielt. Errol Morris, der zuletzt mit „Standard Operating Procedure“ eine Untersuchung der Vorgänge im irakischen Gefängnis Abu Ghraib vorgelegt hat, gelangt nicht selten über das Absurde, über das Armselige, über das Befremden auf eine Ebene, auf der das dokumentarische Kino sich aus dem bloßen Voyeurismus befreit.

Filme von Errol Morris, ab 19. Juni im Zeughauskino; www.dhm.de