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Archiv-Artikel

Ein Mann zweier Systeme

NS-JUSTIZ Einst „Blutrichter“ der Nazis machte Kurt Bode nach dem Krieg in Bremen wieder Karriere. Die Justiz hat sich kaum um die Aufarbeitung des Falles bemüht

Bremer Kollegen schätzten Kurt Bode als „liebenswerten“ und auch „fachlich kompetenten Lehrer“

VON JAN ZIER

Am Ende wurde der Fall des Kurt Bode nie richtig aufgearbeitet. 70 Jahre nachdem der „Blutrichter“ sich unter den Nazis in Danzig des 38fachen Justizmordes schuldig machte. 50 Jahre, nachdem die Hintergründe dieser Tat sich in Grass‘ „Blechtrommel“ wiederfanden, 30 Jahre nachdem Bode starb, als nie zur Rechenschaft gezogener Vizepräsident a.D. des Oberlandesgerichts Bremen (OLG).

Und heute? Interessiert sich kaum noch einer der jungen RichterInnen für die Geschichte. Als sie jetzt im Schwurgerichtssaal des Landgerichts wieder erzählt wurde, anlässlich der Ausstellung „Was damals Recht war …“, da kamen kaum junge. Und überhaupt nur ein einziger Richter: Bernd Asbrock, der bald pensioniert wird, einst selbst in dem Fall recherchierte, gegen hausinterne Widerstände.

Sicher, sie haben Bodes Bild in der Ehrengalerie des Gerichts wieder abgehängt. Das war 1993. Es hing dort zwischen den Bildern der Präsidenten des Hauses – obwohl Bode nur Vize war. Keinem anderen Stellvertreter wurde diese Ehre zuteil. Aber er hatte sich ja „verdient“ gemacht um den Aufbau des OLG. Und sonst? Ist sehr wenig passiert, sagt Asbrock. Bei Bodes Verabschiedung 1960 fiel „kein Wort“ zu seiner NS-Karriere, so Asbrock.

Bode war von 1942 bis 1945 Generalstaatsanwalt in Danzig und damit einer der 100 wichtigsten Juristen des Dritten Reiches. 1939 verurteilte er als Vorsitzender des Feldkriegsgerichts, 38 Postler, die ihr Amt gegen Polizisten und Hilfstruppen von SA und SS verteidigt hatten, wegen „Freischärlerei“ zum Tode. Das war – zu diesem Zeitpunkt – selbst unter den Nazis unrechtmäßig, sagt Dieter Schenk, einst Kriminaldirektor des Bundeskriminalamtes. Er schrieb diese Geschichte im Buch „Die Post von Danzig“ nieder.

Bode wollte „auf Biegen und Brechen“ ein Todesurteil sprechen, sagt Schenk. Am Tod von 122 Verurteilten war er nachweislich beteiligt, 350 Todesurteile gingen über seinen Schreibtisch, verhängt unter anderem gegen Schweine- und Hühnerdiebe.

Bode war „kein fanatischer Nazi“, sagt Schenk, eher ein „ehrgeiziger Technokrat“, der sich „vorbehaltlos“ in den Dienst der Nazis gestellt habe. Ein „Mann des System“, wie Bode 1953 selbst es formulierte.

Da war er schon zwei Jahre lang wieder im bremischen Justizdienst tätig, dank zahlreicher „Persilscheine“, und auf Betreiben des damaligen Justizsenators Theodor Spitta (FDP). Der hatte sich schon früh für die Wiedereinsetzung ehemaliger Nazis stark gemacht. Mit Erfolg: Karl Arndt etwa, 1956 bis 1969 OLG-Präsident, gehörte einst unter anderem der SS an. Auch der ehemalige Bundespräsident Karl Carstens (NSDAP, CDU) war schon 1945 wieder für Spitta tätig und schrieb auch an der bremischen Verfassung mit. Kurz zuvor war Carstens noch Mitglied der SA und Leutnant der Artillerie gewesen.

Als Bode 1960 pensioniert wird, steht er auf derselben Stufe wie schon 1938. Er wurde in beiden Systemen fast gleichlautend gut beurteilt, sagt Schenk. In Bremen wurde er von Kollegen als „liebenswerter, fachlich kompetenter Lehrer“ geschätzt. Eine, die ihn privat selbst noch kannte, schildert ihn als „gebildeten und liebenswürdigen Mann“.

Zwischen 1960 und 1976 werden neun Verfahren gegen ihn eingestellt – ein „Musterbeispiel strafrechtlicher Nicht-Verfolgung“, so Schenk. Seine Todesurteile von 1939 wurden erst 1998 aufgehoben, Bode zugleich der vorsätzlichen Rechtsbeugung für schuldig befunden. Die Nachkommen der posthum Freigesprochenen wurden später nach langem Rechtsstreit mit maximal 10.000 Mark entschädigt. 2008 beschäftigte der Fall noch einmal den Bundestag. Die Petition wurde abgewiesen.