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Archiv-Artikel

Ware Kriegsbild

FOTOGRAFIE In seiner wegweisenden Studie „Bildermarkt Nahostkonflikt“ untersucht der Ethnologe Martin Heidelberger den Alltag von Fotografen, Agenturen und Redaktionen, die über den Nahostkonflikt informieren

Statt auf Manipulation stößt Heidelberger auf ein journalistisches Klassensystem

VON BRIGITTE WERNEBURG

Selbstverständlich war Robert Capa 1948 bei der Gründung des Staates Israel mit seiner Kamera zur Stelle. Capa, die repräsentative Figur des Kriegsreporters in der Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts, wurde auch Augenzeuge des Ausbruchs des ersten Nahostkrieges.

Trotz der zentralen Rolle des Nahostkonflikts für die Pressefotografie nach dem Zweiten Weltkrieg – nirgendwo auf der Welt arbeiten so viele Fotografen – wissen wir wenig über die Bedingungen, unter denen die Bilder aus dieser Region entstehen und vertrieben werden.

Weil wir die Bilder verdächtigen, selbst Waffe im Konflikt zu sein, inszeniert und manipuliert zum Zweck der politischen Agitation, vergessen wir, nach dem Arbeitsalltag der Journalisten und der Presse- und Bildagenturen zu fragen.

Martin Heidelberger, Germanistik und Ethnologie, der sich auf Konfliktforschung spezialisiert hat, befragte nun die in Israel und in den palästinensischen Gebieten stationierten Fotografen. Er besuchte die Bildagenturen vor Ort und an ihren Hauptsitzen in Europa und führte in den Bildredaktionen der Zeitungen, Zeitschriften und Magazine mit den verantwortlichen Bildredakteuren Interviews. Nun hat er mit „Bildermarkt Nahost“ eine sozialwissenschaftliche Studie vorgelegt, bei der nicht der politische Konflikt, sondern die fotografische Praxis im Mittelpunkt steht, in der dieser Konflikt dokumentiert wird.

Statt auf Manipulation und Inszenierung, stößt Heidelberger auf ein journalistisches Klassensystem mit Arbeitsbedingungen, Honoraren und Löhnen, die sich ebenso krass unterscheiden wie die jeweilige Bewegungsfreiheit des Fotografen, so im Fall Musa Al-Shaers aus dem Westjordanland und des politischen Bildjournalisten Miki Kratsman aus Israel: „Während Letzterer seine Arbeiten auf der ganzen Welt (zum Beispiel im Martin-Gropius-Bau in Berlin oder auf der Bienal de São Paulo) präsentieren konnte, hat Al-Shaer als palästinensischer Fotograf aus Bethlehem aufgrund der politischen Situation oft nicht einmal die Möglichkeit, in die benachbarte Stadt zu fahren“, hält Heidelberger fest.

Karriere als Kriegsfotograf

Das Zentrum des Bildermarkts Nahost bilden die fünf großen Agenturen Reuters, Associated Press (ap), Agence France Press (afp), European Pressphotography Agency (epa) und Getty Images mit ihren Niederlassungen in Westjerusalem. Die führenden Positionen in den Agenturen sind internationalen Fotografen vorbehalten, die sich aus dem Pool der professionellen Fotojournalisten rekrutieren, die die größte Gruppe der Kriegsfotografen bilden.

Denn im Westjordanland, in Gaza oder dem Libanon gearbeitet zu haben, ist Voraussetzung für eine wirkliche Karriere als Fotoreporter. Daneben sind die Agenturen stark auf lokale Fotografen mit den entsprechenden Sprach- und Ortskenntnissen angewiesen. Diese Fotografen werden als „Stringer“ angeheuert, freie Einsatzkräfte auf Honorarbasis ohne jede soziale Absicherung oder regulären Arbeitsvertrag. Dennoch bieten die Agenturen damit einige der wenigen stabilen Arbeitsplätze in den palästinensischen Gebieten.

Bei Bedarf greifen die Agenturen auch auf die sogenannte Citizen Photography zurück, also Bilder von Fotoamateuren, etwa von israelischen Soldaten. Eine weitere alternative Form der Kriegsfotografie praktiziert das Fotoaktivistenkollektiv Activstills aus Tel Aviv, das verschiedene Organisationen der israelischen und palästinensischen Friedensbewegung kostenlos mit Fotografien beliefert und ansonsten gerne den direkten Kontakt mit der israelischen Öffentlichkeit sucht.

Parteiliche Lesarten

Da eine große Bedrohung für Journalisten – auch für israelische und internationale Berichterstatter – im Westjordanland von der israelischen Armee ausgeht, arbeiten die Wire-Journalisten der großen Agenturen inzwischen durchweg als Embedded Photographers.

Trotzdem ist das David-gegen-Goliath-Bildklischee von steinewerfenden Demonstranten und martialisch aufgerüsteten Soldaten fester Bestandteil der Agenturbildsprache geworden. Die Abnehmer drucken Gewaltszenen im Allgemeinen nur dann, wenn es aus Informationsgründen unumgänglich ist. Zugrunde liegt ein rationales Kalkül. Gewaltdarstellungen – wie im Übrigen auch ästhetisch bemerkenswerte Bilder – sind riskantes Material, indem sie parteiliche Lesarten provozieren.

Die redaktionelle Praxis wird heute, so hat Heidelberger erfahren, maßgeblich durch die neuen digitalen Technologien, insbesondere die globale Vernetzung bestimmt. Dabei bildet die konkrete politische Steuerung kein relevantes Problem des Bildermarkts Nahost, sehr wohl aber die politischen und ökonomischen Markt- und Machtstrukturen.

Zwar kommt die schnelle, billige Bildproduktion auch der asymmetrisch agierenden alternativen Fotoszene zugute. Doch wird auf der einen Seite die Verfestigung von Deutungsmonopolen erschwert, öffnen sich auf der anderen Seite in ihrer Unkontrollierbarkeit bislang unbekannte Möglichkeiten der Bildpropaganda.

■ Martin Heidelberger: „Bildermarkt Nahostkonflikt. Ethnologische Untersuchungen zur Praxis der Kriegsfotografie“. Lit Verlag Berlin, 111 Seiten, 19 Euro