Sonnenuntergang bei RTL

Der Kölner Sender feuert nach gerade mal drei Monaten seinen neuen Chef Marc Conrad. „Big Boss“ Gerhard Zeiler ist zurück. Und zwei starke Frauen besetzen Spitzenpositionen

VON STEFFEN GRIMBERG

Fernsehen, hatte Marc Conrad in seinem einzigen großen Interview als RTL-Chef am Dienstag gesagt, Fernsehen funktioniere zyklisch, wie ein Bauernhof. „Wenn ihn ein neuer Landwirt im November übernimmt, heißt das nicht, dass ab sofort im Winter jeden Tag die Sonne scheint.“ Erwartet hatte man es dennoch vom frisch angetretenen Privatfernseh-Gutsherrn, dem die Branche immer gern bestätigt hatte, ein genialer Programm-Macher zu sein. Gestern ging die Sonne für Marc Conrad nach gerade einmal gut drei Monaten unter. Gerhard Zeiler, bis vergangenen Juli Conrads Vorgänger, „wird die Geschäftsführung von RTL Television (…) wieder persönlich übernehmen“, teilte der zum Bertelsmann-Konzern gehörende Sender nüchtern mit.

Damit ist das Chaos beim bislang erfolgreichsten deutschen Privatfernsehunternehmen perfekt. Denn niemand sonst als Zeiler ist letztlich für die von Conrad vorgefundene Misere verantwortlich. Unter Zeiler wurde der Sender ausgepresst wie eine Zitrone, die Rendite war alles. Geopfert wurde die hauseigene TV-Movie-Produktion, RTL machte sich immer abhängiger von internationalen Programmideen – mit zuletzt immer unsicherem Ergebnis: Die „Super Nanny“ funktioniert zwar, die „Hire and fire“-Show „Big Boss“ mit Rainer Calmund floppte groß. Der Erfolg von „Deutschland sucht den Superstar“ erwies sich als nicht unbegrenzt wiederholbar (obwohl man es immer noch nicht wahr haben will und in diesem Jahr eine dritte Staffel plant), selbst bei „Wer wird Millionär?“ bröckeln die Quoten. So ging erstmals seit 12 Jahren die Marktführerschaft verloren – im Olympia-Jahr 2004 an die ARD. „Innerhalb von einem guten Vierteljahr hier den Umschwung hinzukriegen, war völlig illusionär“, sagt ein Insider, „RTL ist total in der Grütze.“ Diesen Brei auslöffeln dürfen neben Chefkoch Zeiler ab sofort zwei Frauen: Neben der schon im November zur neuen RTL-Informationsdirektorin bestellten Ingrid Haas übernimmt jetzt auch Anke Schäferkordt, bislang Chefin des erfolgreichen Schwesterkanals Vox, als stellvertretende Geschäftsführerin Verantwortung für das „große“ Programm.

Conrad hatte seit Amtsantritt am 1. November 2004 keine Interviews gegeben. Selbst die für ein privates Fernsehprogramm entscheidende Werbeindustrie tappte im Dunkeln: „RTL, wo geht’s hin?“, fragten schließlich vor zehn Tagen mehrere hochrangige Media-Männer in der Financial Times Deutschland. Dabei hätte der 44-Jährige durchaus das Zeug gehabt, RTL wieder neu zu erfinden – schließlich hat er es schon einmal geschafft: in der Gründungsphase des Senders, gemeinsam mit RTL-Übervater Helmut Thoma. Der hatte den ehemaligen Nachrichtenredakteur Conrad 1988 zu seinem persönlichen Referenten und vier Jahre später zum Programmdirektor gemacht. Als Bertelsmann 1998 Thoma schasste und Zeiler die Führung bei RTL übernahm, ging auch Conrad und begann eine Karriere als TV-Produzent.

Die aktuelle Führungskrise sei „mehr Psychologie als alles andere“, heißt es jetzt in Köln. Zeiler, der auch Gesamt-Chef der RTL-Group mit Sitz in London und Luxemburg ist, habe Conrad vor allem die weiter bestehende Nähe zu Thoma übel genommen. Der hatte im Januar zusätzlich Öl ins Feuer gegossen: Er verspüre noch immer eine „große emotionale Nähe“ zu RTL, lancierte Thoma via Süddeutsche Zeitung, sollte Conrad seinen Rat wünschen, „werde ich etwas tun“. Zeilers Dementi („Helmut Thoma ist ein Stück Vergangenheit und kein Stück Zukunft“) sprach Bände.

Die Zukunft von RTL hatte Conrad in seinem am Dienstag erschienenen Interview mit dem Fachdienst epd Medien übrigens bemerkenswert ehrlich umrissen: Als Marktführer müsse RTL „auf gesellschaftliche Veränderungen eingehen (…) und entsprechend sein Programm anpassen“. Weg mit zu viel seichter Reality, war die Botschaft. RTL müsse seriöser, auch wieder in einem umfassenden Sinne politischer werden: Die Zeit sei „längst vorbei (…) wo man losgelöst von jeder Wertediskussion alles senden würde, bloß um Quote zu machen“. So unkonkret Conrad bei Programmplänen blieb: Als Seitenhieb auf Zeiler war das bemerkenswert. Doch da war die Messe für Conrad wohl schon längst gesungen, wie sein letzte Satz im epd-Interview nahe legte: „Mich macht gar nichts mehr nervös.“