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Archiv-Artikel

Bei Göring zu Tee

Darf man über Nazi-Größen Witze machen, über diese dann auch noch lachen – und was ist damit eigentlich gewonnen? Überlegungen aus Anlass eines kleinen Theaterskandals in Hamburg

von Alexander Diehl

„Man kann über alles lachen, nur über eins nicht, über den Holocaust.“ – Ephraim Kishon (1993)

Den Anlass bildet eine Posse: Vor Monaten bereits hatte das Travestie-Gespann „Frau Emmi & Herr Willnowsky“ – auch überregional bekannt zwischen Varieté-Bühnen und „Quatsch Comedy Club“ – der Hamburger Kleinkunstbühne Polittbüro ein Stück vorgelegt, das in dieser Woche dann auch auf die Bühne kam: „Bei Emmy Göring zum Tee“, Untertitel: „Die Witwe des Reichsfeldmarschalls klärt auf“.

Obwohl „von Anfang an Zweifel“ bestanden hätten, entschloss sich die Theaterleitung erst nach einer Voraufführung, den erklärtermaßen „postnazionalsozialistische[n] Schwank in zwei tragischen letzten Akten“ kurzfristig aus dem Programm zu nehmen – wegen „nicht angemessener Auseinandersetzung“ mit dem Thema. Autor, Regie und Ensemble zogen vor Gericht und erzwangen binnen Stunden per einstweiliger Verfügung die Vertragserfüllung.

Nun könnte man von einem geschickt inszenierten Skandälchen zwecks erhöhter Aufmerksamkeit ausgehen und müsste über das Stück selbst – eine Art überdrehter „Dinner for One“-Variation um eine 111-jährige NS-Diva und ihren russischen Zwangsarbeiter-Lakaien inklusive Heino-Pausenmusik und mit dem Holzhammer ausgeführten Bezugnahmen auf die mediale Hitler-Konjunktur – kein Wort verlieren.

Hätten sich seine Macher im Zuge der Vorwärtsverteidigung nicht gar so weit aus dem Fenster gelehnt: Er habe „die Nazi-Größen von ihrem unantastbaren Sockel herunterholen und der Lächerlichkeit Preis geben“ wollen, sagte da Autor Mirko Bott. „60 Jahre durfte in Deutschland nicht über Nazis gelacht werden“, legte Hauptdarstellerin Frau Emmi (alias Christoph Dompke) noch eins drauf: „Jetzt geht das.“ Sprach’s und ließ die Nischenveranstaltung fürs hanseatische Camp-Publikum ohne Not aufgehen in den hinlänglich bekannten Debatten um Betroffenheitskult und Schlussstrich-Ziehen.

Nun kündet derlei Vollmundigkeit erstens von keiner sonderlich genauen Beobachtungsgabe; mag sich auch der Historiker und Hitler-Biograph Joachim Fest darüber wundern, dass während des so genannten Dritten Reiches Witze über den „Führer“ gang und gäbe waren, nach seinem Ende aber nicht mehr. Denn lachen konnte und kann man auch hierzulande über Chaplins Der große Diktator und Lubitschs „Sein oder Nichtsein“, Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ und Radu Mihaleanus Zug des Lebens, Christoph Schlingensief und Harald Schmidt, Serdar Somuncus „Mein Kampf“-Rezitationen und die Uniformwitzchen bei „RTL Samstag Nacht“.

Zweitens ist das anklingende Eigenlob, sich nun aber schön was zu trauen, gar an Tabus zu rühren, weniger denn je in besonderem Mut begründet; die Vorarbeit haben andere längst geleistet. Und genau jene diskursiven Phänomene, wie sie nun im Stück aufs Korn genommen werden – „Der Untergang“ etwa in all seinem Werben für des Führers „menschliche Seite“ – künden ja von einer Situation, in der ein Unterfangen wie das nun zum Steinchen des Anstoßes gewordene Spektakel eher mit dem Zeitgeist d’accord geht, als irgendwo anzuecken. Die Macher des Emmy-Göring-Stückes mögen sich als Zensuropfer und Verteidiger der Kunstfreiheit fühlen – den Wind der deutschen Geschichtspolitik haben sie eher im Rücken denn im Gesicht.

Und schließlich schummelt sich um die eigentlichen Fragen herum, wer es beim gut Gemeinten, bei der bloßen Intention belässt: Die Frage nämlich, wer – und von welcher Warte aus worüber – zu lachen befugt sein mag, und wer eben nicht.

In den eher oberflächlichen Diskussionen, die sich am Rande der Aufführungen unter den Zuschauern ergaben, wurden gegenüber kritischen Stimmen auch Formulierungen wie „abgeschmackte Betroffenheit“ in Stellung gebracht. Das lässt kaum darauf schließen, dass die komödiantische Auseinandersetzung mit GröFaZ und Shoah anders rezipiert wurde denn als Anlass zur Entkrampfung; auf dass das Schenkelklopfen das lästige Schuldbewusstsein beseitigen möge.