peters‘ paradise
: Bären verteilt, Flirts gelungen

So, jetzt reicht es aber auch. Zehn Tage Berlinale, zehn Tage ohne Sonnenlicht und rund 400 Filme, die in Augenschein genommen werden wollten. Schon hinsichtlich des Zeitmanagements wird hier geradezu Unmenschliches gefordert. Entgegen der landläufigen Meinung ist die Berlinale nicht nur ein Spaß. Das professionelle Filmegucken ist vielmehr überaus anstrengend, weil man fortwährend bedeutsamen Werken der Filmkunst ausgesetzt ist, deren Tiefe es zentimetergenau auszuloten gilt. Hier trägt der Kritiker große Verantwortung. Doch selbst die verantwortungsvollsten Vertreter haben ständig das Gefühl, die wirklich tiefen Filme in verantwortungsloser Weise zu verpassen. Vielleicht ist das Nichtgucken dadurch sogar noch anstrengender als das Gucken – am alleranstrengendsten ist aber beides zusammen. Nach fünf Tagen verliert man das Interesse am Festival, weshalb die zuständigen Planer gut beraten sind, die schönsten und klügsten Werke am Festivalende zu platzieren. Werke, die einen sozusagen über die Ziellinie bringen und einem die Gewissheit geben: Auch dieses Jahr hat es sich wieder gelohnt.

Allein dieser Umstand rechtfertigt es denn auch, dass alle Cineasten dieser Welt neun Tage auf den Sensationsfilm „Hitch“ warten mussten. Ein Werk, das allem Anschein nach gedanklich, handwerklich und auch schauspielerisch so stark ist, dass es fast schon selbstverständlich scheint, es „außer Konkurrenz“ im Wettbewerb zu zeigen. Denn konkurrenzlos ist es fürwahr. „Hitch“ erzählt von dem bemerkenswerten Schicksal des gleichnamigen Beziehungsanbahnungsberaters, der in New York kostenlos und geheim agiert, um unbeholfenen Flirtamateuren entscheidende Flirttipps zu geben, bis er sich eines Tages in die investigativ recherchierende Klatschkolumnistin Sara verliebt und sich dabei überraschenderweise derart amateurhaft anstellt, dass seine eigentlich perfekte Tarnung jeden Moment aufzufliegen droht. Solch ein Film braucht selbstredend einen Schauspieler, der wie kein Zweiter das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Unsicherheit mit jeder Faser seines Körpers darzustellen weiß, der dem Einbruch der Realität in sein scheinbares Selbst ein Gesicht geben kann: Will Smith. Auf Knien sollte man Festivaldirektor Dieter Kosslick dafür danken, dass er den Film noch zwei Wochen vor dem offiziellen Kinostart für Berlin gewinnen konnte.

Doch widmen wir uns kurz vor Schluss noch der Bären-Verteilung. Einen bekommt Marc Rothemund für „Sophie Scholl – Die letzten Tage“, weil er den Mut bewies, ein gewaltiges Thema in das künstlerisch eher enge Schulfernsehformat zu pressen. Ein weiterer geht an „Tian Bian Yi Duo Yun“ für den bewusstseinserweiternden Gebrauch von Melonen, während der dritte Bär selbstverständlich Regis Wargniers nachdenklich machende und vielleicht gar umstrittene Pygmäenstudie „Man to Man“ vorbehalten bleibt. Was auch immer man von seinem Werk hält, es war ein großer Film mit kleinen Leuten. In diesem Sinne.

HARALD PETERS