Bahn frei für Schienenchaos in Schweden

DEREGULIERUNG Stockholm liberalisiert den Schienenverkehr vollständig. Kritiker erkennen kein Konzept

STOCKHOLM taz | Bei jeder Bahnreise zwischen bis zu fünf verschiedenen Anbietern wählen können? Das ist die Vision der konservativ-liberalen Parlamentsmehrheit. Nachdem in Schweden bereits seit Jahren freie Konkurrenz im Güterverkehr herrscht, will sie deshalb nun auch den Personenzugverkehr vollständig liberalisieren.

Bislang hat die staatliche Statens Järnvägar (SJ) beinahe im gesamten Fernverkehr ein Monopol. Erst in diesem Jahr öffnete die Regierung zunächst den grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Kopenhagen und mehreren südschwedischen Städten. Es entstand eine harte Preiskonkurrenz, die der Regierung nun als Argument für die Liberalisierung dient. KritikerInnen halten das für unseriös. Für private Unternehmen seien nur die gewinnträchtigen Hauptstrecken interessant. Dem Rest drohe eine Abwärtsspirale: steigende Preise, weniger Reise, schlechte Auslastung, Stilllegungen.

Dabei ist Zugfahren in Schweden populär. 2008 steigerte die SJ ihren Personenverkehr um fast 10 Prozent. Allerdings steht sie auch wegen Unpünktlichkeit und einem komplizierten Preissystem in der Kritik.

Für Janne Rudén, Vorsitzender der Gewerkschaft der öffentlich Angestellten, ist „eine liberalisierte Bahn eine Chaosbahn“. Zwischen 30 und 50 Prozent der Reisen seien mit Umsteigen verbunden. Es gebe kein Konzept, wie man mit verpassten Anschlüssen umgehen soll oder wer die Fahrkarten verkauft.

Ministerin Torstensson geht davon aus, dass der Markt es richtet: Bei einer Liberalisierung werde „Kreativität freigesetzt und der Fokus richtet sich automatisch auf den Kunden“. Bereits ab 1. Juli soll freie Konkurrenz im Wochenendverkehr herrschen, ab 1. Oktober auch bei internationalen Verbindungen. Ab Oktober 2010 sollen die Anbieter auf allen Strecken frei konkurrieren können. REINHARD WOLFF