: Heide Simonis und die Zwerge
Der SSW will eine Regierung nur tolerieren, wenn er sich auf nichts festlegen muss. So soll das Parlament gestärkt werden – wie in Skandinavien
AUS KIEL ESTHER GEISSLINGER
3,6 Prozent, zwei Mandate – für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) reicht es in Kiel nicht mal zum Fraktionsstatus. Dennoch ist Anke Spoorendonk, die Sprecherin des SSW, nach der Wahl in Schleswig-Holstein zur Frau im Mittelpunkt geworden: Heide Simonis kündigte an, die SPD werde unverzüglich mit dem SSW über die Tolerierung einer Minderheitsregierung sprechen. „Eine Katastrophe“ wäre das, drohte sogleich ihr CDU-Herausforderer Peter Harry Carstensen. Anke Spoorendonk lehnte sich gelassen zurück: Es gehe ihrer Partei nicht um Macht, versicherte die 57-Jährige, sondern um Inhalte: „Wir sind für Gespräche mit allen zu haben.“
Noch am Wahlabend schlugen die Kommentatoren die zwei Sitze der Vertretung der dänischen und friesischen Minderheit wie selbstverständlich dem rot-grünen Lager zu, dem das zur denkbar knappsten Mehrheit von einer Stimme reicht. Aber so einfach ist das nicht: Der SSW will keine Koalition, er will eine Minderheitsregierung tolerieren. Und obwohl ihr Programm weit besser zu den rot-grünen Inhalten passt, werden Spoorendonk und ihr Mitstreiter Lars Harms mit beiden Lagern reden. Vielleicht wird es sogar auf wechselnde Mehrheiten hinauslaufen. Denn obwohl die SSW-Spitzenfrau beteuert hatte, sie wolle eine „verlässliche Tolerierung“ mit festgeschriebenem Programm, hat sie sich das Recht herausgenommen, „bei gewissen Fragen nicht mitzustimmen“ – was bedeuten würde, CDU und FDP bei einzelnen Abstimmungen den Sieg zu schenken.
Wechselnde Mehrheiten: Dieser Gedanke könnte auch Wolfgang Kubicki gefallen, dem FDP-Spitzenmann. „Klare Regierungsbeteiligung oder Opposition“ waren seine Vorgaben. Die Minderheitsvariante oder eine Ampel lehnt er ab: Mit den Grünen, für ihn „Jobkiller Nr. 1“ in Schleswig-Holstein, will er die Regierungsbank auf keinen Fall teilen. Anders sieht es mit der SPD aus: In einem Interview lobte Kubicki so penetrant die Arbeit einzelner SPD-Minister, dass die Nachrichtenagentur dpa prompt die rot-gelbe Koalition ausrief. Das wies die FDP vehement zurück, und sicher wäre es Kubicki tatsächlich lieber gewesen, als starker Juniorpartner mit der CDU zusammenzugehen – mit ihm selbst als Fraktionsführer, der je nach Stimmung Opposition aus der Regierung heraus betreiben kann.
Diesen Traum erfüllten die Wähler nicht: Tatsächlich verlor die FDP, die auf 8 oder gar 10 Prozent gehofft hatte, ein paar Stimmen. Aber Kubicki könnte dennoch eine wichtige Rolle spielen und damit neben Anke Spoorendonk zum zweiten mächtigen Zwerg im Kieler Landtag werden: Warum nicht die ein oder andere SPD-Position unterstützen, und sei es, um den Grünen dazwischenzufunken? Dagegen spricht nur Kubickis Aussage, er ziehe eine große Koalition der Minderheitsregierung vor – doch wenn SPD, Grüne und SSW sich einigen, wird die FDP nicht fünf Jahre lang im Schmollwinkel sitzen, sondern mitmischen wollen.
Für den SSW liegt der demokratische Ansatz der Minderheitsregierung darin, das Parlament zu stärken und die Regierung zu schwächen. Es sei frustrierend, „dass die Opposition jahrelang nur für den Papierkorb arbeitet“, weil in jeder Frage reflexhaft nach Lagern abgestimmt werde, beklagte Anke Spoorendonk. Viele Auftritte im Landtag seien „Schaufenstergefechte“, bei denen es nicht um Inhalte gehe.
Das Minderheitsmodell ist in Skandinavien, der geistigen Heimat des SSW, normal, in Deutschland aber ungewöhnlich. Auch die Reaktionen von Simonis und der grünen Spitzenkandidatin Anne Lütkes zeigen, dass beide ihre Koalition mit dem Mittel SSW fortsetzen wollen: „Ein bisschen Vernunft, ein bisschen Geduld“ seien notwendig, dann werde es schon funktionieren, sagte Simonis. Aber der SSW wird seinen Vorteil sicher nicht so schnell aufgeben: Wenn Spoorendonk es ernst meint mit ihrem Traum vom starken Parlament, lässt sie sich auch von einer Heide Simonis nicht knebeln. Um dem Griff der Zwerge zu entgehen, hätten SPD und CDU nur eine Chance: die große Koalition.