: Erst krank machen, dann heilen?
betr.: „Teufelskreis Jobverlust“ von K. Dieter Voß, taz vom 16. 2. 05
Im Jahre 1944 schrieb Karl Polanyi in „The Great Transformation“ über die englische Arbeits- und Sozialpolitik, es sei das zur Prüfung der Arbeitswilligkeit der Unterstützungsempfänger nach 1834 eingeführte „Arbeitshaus bewusst zu einem Ort des Schreckens ausgestaltet worden“. Und: „Das Arbeitshaus wurde mit einem Stigma versehen; der Aufenthalt darin wurde zu einer psychologischen und moralischen Tortur entwickelt.“
Wird Arbeitshaus durch Arbeitsagentur ersetzt, gelingt der Sprung ins Jahr 2005 nach Deutschland. Der taz-Gastautor nimmt doch wohl an, die Arbeitsagentur würde in Arbeit vermitteln oder dahin qualifizieren wollen. Das kann und macht sie seit langem nicht mehr; Vermittlung und Qualifizierung sind Feigenblätter eines neuen Arbeitshauses geworden. Diese Arbeitsagentur nun mit der Gesundheitsförderung Arbeitsloser beauftragen zu wollen, ist ein schlechter Witz, wenn nicht böser Hohn: Erst krank machen, dann heilen? WERNER BRAEUNER, Meppen
Sich nackig machen müssen vor allen und jedem. Sich erklären müssen, seine Persönlichkeit, seine Einstellungen, seine Lebensweise ausbreiten müssen vor jedem fremden Menschen, der es verlangt. Arbeitslose werden ständig zu dieser Offenlegung gezwungen. Gezwungen von wechselnden Sachbearbeitern der AA, gezwungen beim Gang zur PSA, bei jedem auch noch so unangemessenen Jobangebot, weil mangelnde Kooperation (die Weigerung, intime Fragen zu beantworten) eine Streichung der Unterstützung nach sich ziehen könnte.
Durch den Fallmanager soll nun alles besser werden, der bedeutet für Arbeitslose aber zuerst einmal wieder eine neue fremde Person. Was ich nun als Langzeitarbeitsloser am wenigsten gebrauchen kann, ist eine weitere Instanz, für die ich mein Innerstes nach außen kehren muss. Bis heute dachte ich, mehr von seiner Persönlichkeit preiszugeben sei nicht mehr möglich. Pustekuchen; jetzt geht’s an die Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten. Wird Langzeitarbeitslosen schon seit geraumer Zeit suggeriert, sie seien zu faul oder zu dumm, einen Job zu finden, so geht es jetzt ans Eingemachte; sie sind einfach zu blöd zu leben. Unfähige Kreaturen, die einen behördlich aufgestellten Ernährungs- und Bewegungsplan benötigen. Demnächst jogge ich Händchen haltend mit meinem Stoppuhr-bestückten Sachbearbeiter zum Discounter.
Arbeitslose brauchen kein Hütteln und Betütteln von oben herab, sie wollen wie normale vollwertige Menschen behandelt werden, sie wollen (über-)leben können und sind durchaus auch in widrigen Umständen fähig dazu. PETER KOPP, Wiesbaden