: Schock, Lähmung, Angst vor der Zukunft
Auf der gestrigen Belegschaftsversammlung im Klinikum Ost wurde deutlich, wie groß das Informationsdefizit war
Bremen taz ■ „Soviel kann ich nicht fressen, wie ich jetzt kotze.“ Die rund 2.250 KrankenpflegerInnen, ÄrtzInnen oder auch Reinigungskräfte im Krankenhaus Bremen-Ost sind auf hundertachtzig. Und so wedelte gestern bei einer außerordentlichen Belegschaftsversammlung im Haus im Park einer der Beschäftigten mit diesem provisorischen Spruchband in Richtung Wolfgang Tissen, dem Holding-Chef der Gesundheit Nord und zudem Geschäftsführer des Klinikums Bremen-Ost. Der auf dem Podium saß, um die Belegschaft zu informieren. Für viele erschien das wie Hohn: „Ein bisschen spät“, konstatierte jemand mit sarkastischem Unterton.
Der Saal im Haus im Park barst schier aus allen Nähten, Menschentrauben quollen aus den Eingängen, weil sie drinnen keinen Platz mehr fanden – und trotzdem herrschte angespannte Stille. Wenn Tissen sprach, hätte man eine Nadel fallen hören können. Die Stimmung, die vorherrschte und jeden in den Bann schlug, war eine Mischung aus Verunsicherung, Angst und Wut. Einigen aus der Belegschaft trieb es die Tränen in die Augen. „Wer sind wir? Nur Marionetten, an deren Fäden man beliebig ziehen kann?“ Und der da vorne sei der große Strippenzieher? „Ja, ja – haltet uns nur immer schön dumm“, zischte einer in der Menge.
Diese Reaktionen waren eindeutige Indizien dafür, mit welchem Informationsdefizit die Beschäftigten eigentlich bisher leben mussten. Zeitungen lesen sei für sie in den vergangenen Tagen eine Art Schocktherapie gewesen, flüsterte eine Krankenschwester ihrer Nachbarin zu. Das brachte der Betriebsrats-Vorsitzende, Lothar Schröder, dann auch nochmals in scharfem Ton auf den Punkt: „Die Betriebsräte wurden über das jetzt veröffentlichte Strategiepapier nicht informiert.“ Auch er habe über die geplante Umstrukturierung sowie den Abbau von 1.900 Arbeitsplätzen, der rund 2.500 MitarbeiterInnen – davon zwei Drittel Frauen – betrifft, erst aus den Medien erfahren. Dabei sei das Klinikum Ost seiner Meinung nach der große Verlierer. Das Krankenhaus ist der größte Arbeitgeber im Stadtteil Osterholz-Tenever. Der Betriebsrat, der auch im Aufsichtsrat der Holding sitzt, stellte klar: „Herr Tissen, ich bin davon überzeugt, dass es Alternativen gibt!“ Die ArbeitnehmervertreterInnen würden jetzt ihrerseits Gutachten erstellen, einen Strategieplan entwerfen und vorlegen. Auch wolle man in den Stadtteil gehen und die Bevölkerung aufklären.
Schröders offenkundiger Ärger wirkte als Ventil für die Belegschaft: „Schweinerei, wie ihr mit uns umgeht!“ „Das kann ich nicht glauben.“ „Mir reicht‘s!“ Die Lähmung der Belegschaft schien sich ein wenig zu lösen.
Wolfgang Tissen rechtfertigte die Desinformation der Angestellten damit, dass das von Senatorenseite so gewünscht war: „Das Go kam von Senatorin Karin Röpke.“ Er habe keinen Einfluss darauf gehabt, wann und wie das Strategiepapier veröffentlicht würde. dab