: Ein Symbol schlägt Haken
Eine Debatte um ein Verbot von Nazisymbolen nach deutschem Vorbild will sich die EU ersparen. Das ist berechtigt: Es gebe Wichtigeres, „als sich lange über die Symbole zu unterhalten“. Das ist falsch
VON ARNO FRANK
„Draußen tobt der Flaggenkrieg auf den Straßen. Das Hakenkreuz hat die Oberhand.“Aus Joseph Goebbels’ Tagebuch, 23. 4. 1932
Neben anderem Gerümpel wie Hitlergruß, Bildern von Adolf Hitlers oder SS-Runen ist hierzulande auch das öffentliche Zeigen von Hakenkreuzen in jeder Form nach Paragraf 86 a des Strafgesetzbuches untersagt. Es sei denn, es dient pädagogischen Zwecken. Für diesen Paragrafen ist Deutschland stets gelobt worden. Mit ihrem ebenso löblichen Versuch, die ikonografischen Altlasten deutscher Vergangenheit endlich auch auf europäischer Ebene zu verbieten, ist Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) gestern aber gescheitert.
Es lag am Widerstand vor allem der Dänen, Ungarn und Briten, die auf dem Vorrang der Meinungsfreiheit pochten. Also ließen die EU-Staaten das Thema Verbot fallen, um sich dem Thema Aufklärung zuzuwenden, schon an den Schulen. Als Konzession an die Verbotswünsche der Deutschen wurde gestern also immerhin ein Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verabschiedet.
Den Stein ins Rollen gebracht hatte ein britischer Prinz, der auf einer Party mit Nazikostüm ausgehakenkreuzt ist. Den Stein ins Rollen gebracht hat also die Meinung eines jungen Mannes (dessen Schulbildung übrigens über jeden Verdacht erhaben sein sollte), man dürfe durchaus seinen Schabernack mit Nazisymbolen treiben.
Einen unerwarteten Drall hatte die Diskussion durch zusätzliche Forderungen estnischer EU-Parlamentarier bekommen, auch das öffentliche Zeigen von Hammer und Sichel unter Strafe zu stellen – schließlich stünden diese Symbole in ihrem Land ebenso für Krieg, Mord, Folter und Vertreibung wie anderswo das Hakenkreuz. Ähnliches aber könnte man auch von anderen Symbolen sagen, etwa dem christlichen Kreuz.
Dass diese Büchse der Pandora geschlossen bleibt, dafür hat die EU durch ihre Ablehnung eines Verbots problematischer Symbole gesorgt. Auf unbestimmte Zeit vertagt hat sie damit aber auch die dringend notwendige Verständigung darüber, ob Europa als heterogener Kulturraum wirklich auf Symbole verzichten kann.
Nur wer sagen kann, warum wir welches Symbol ablehnen, der kann auch darüber sprechen, warum wir welches Symbol annehmen sollten. Nicht nur der Sozialpsychologe George Herbert Mead hat auf die identitätsbildende Funktion hingewiesen, die Symbole in allen Gemeinwesen erfüllen – man kann in den USA immer und überall erleben, wie die omnipräsente Flagge diese stabilisierende Funktion erfüllt.
Mag sein, dass die Deutschen diesem Effekt des Symbolischen aus historischen Gründen mit Unbehagen begegnen. Es aber europaweit zu verbieten, auch noch „nach deutschem Vorbild“, musste an der extrem heterogenen Beschaffenheit der Gemeinschaft europäischer Staaten scheitern. Gemüter lassen sich daran nicht mehr erhitzen, ebenso wenig wie patriotische Wallungen beim Anblick unseres heiteren europäischen Sternenkreises auf babyblauem Grund.
Das Hakenkreuz? Gibt es, seit Menschen in den Himmel schauen. Es ist der stilisierte Reim, den sich Menschen vermutlich schon vor 20.000 Jahre auf die astronomische Beobachtung gemacht haben, dass die Sterne sich bewegen. Als buchstäblich universelles Symbol bedeutet die „swastika“, dass alles Irdische ewigen Kreisläufen unterworfen, dass alles unter der Sonne ein Kommen und Gehen ist. Eingeschlossen in die Abstraktion des Hakenkreuzes hat dieses Urwissen die Jahrtausende überdauert wie die Fliege im Bernstein.
So gesehen ist der aktuelle, böse Sinngehalt des Hakenkreuzes nur eine vorübergehende Trübung, die sich irgendwann legen wird. Auch ohne Verbot. In schätzungsweise 1.000 Jahren.