: Biokraftstoff in der Ökofalle
Um alle Autos auf deutschen Straßen mit Biosprit zu versorgen, müssten auf einer Fläche, dreimal so groß wie die Bundesrepublik, Energiepflanzen angebaut werden
Gründe, das Ende des Erdölzeitalters zu beschleunigen, gibt es genug. Seien es die Kriege um Öl, die Sorge um das Weltklima oder die Solidarität mit indigenen Völkern. Mit den „Tränen des Teufels“, wie der alte Rockefeller einmal das Erdöl nannte, ist die Zukunft im 21. Jahrhundert nicht zu gestalten. Und so ist es ein gutes Zeichen, wenn immer stärker Alternativen zu fossilen Treibstoffen entwickelt, erprobt und genutzt werden. Sprit aus Biomasse gilt unter Fachleuten als der chancenreichste und klimaverträglichste Weg.
Wie die Dinge liegen, wird eine Erdöl- (und Erdgas-)freie Mobilität überwiegend bis ausschließlich mit Biokraftstoffen organisiert werden müssen. Wenn das zutrifft, sollten wir aber schon jetzt die Grenzen und Risiken der Biotechnik bedenken. Wir dürfen nicht in die Fehler der Energiediskussion etwa der Fünfziger- und Sechzigerjahre verfallen, die einer damals neu entwickelten Technik, nämlich der Kernspaltung zu friedlichen Zwecken, überzogene Erwartungen angedichtet und bereits erkennbare Risiken schlicht verdrängt hat.
Nun ist die Erzeugung von Biokraftstoffen eine „sanfte“ Technik. Mit ihr sind keine GAUs, keine Verstrahlung und keine radioaktive Verseuchung der Erde zu befürchten. Aber eine für heutige gesellschaftliche Gewohnheiten einschneidende Veränderung ist bereits jetzt absehbar: Mit Biosprit wird die Weltgesellschaft die motorisierte Fortbewegung nicht so fortsetzen können, wie das die entwickelten Länder seit Jahren praktizieren und wie es andere Nationen und Regionen gegenwärtig legitimerweise zu kopieren suchen. Es ist daher rational und vorausschauend, mit einer Mobilitätswende hin zu „Bio“ zugleich eine andere Kultur der Fortbewegung frühzeitig einzuleiten.
Bereits der gesunde Menschenverstand kann dem Denken auf die Sprünge helfen: Der ungeheure Energieeinsatz im fossilen Zeitalter war und ist nur möglich, weil die Menschheit um Dimensionen mehr an Kohlenstoffablagerungen verfeuert, als sich im früheren Zeiträumen durch biologische Aktivität gebildet hat. Die unterirdischen Erdöllager sind aus den absterbenden Pflanzen und Tieren früherer Meere entstanden. Mehrere hunderttausend Jahre brauchte dieser Bildungsprozess für die Menge, die weltweit in nur einem einzigen Jahr durch Schornsteine und Auspuffrohre verbrennt.
Die Ausplünderung der biologischen Potenziale findet weit schneller ihre Grenze, wenn wir uns auf die Nutzung der jährlich sich bildenden Biomasse auf der Erdoberfläche beschränken müssen. Wer annimmt, dass die jetzige Mobilitätskultur dann fortgesetzt werden kann, ist ein Träumer.
45 Millionen Pkws bevölkerten Deutschland im Jahr 2003. Um allein ihren Treibstoffverbrauch zu decken, müsste bei einem Verbrauch von 7 Litern auf 100 Kilometer eine Fläche von 600.000 Quadratkilometer mit Energiepflanzen angebaut werden – fast das Doppelte unseres Landes. Wird aus der ganzen Pflanze Biogas erzeugt, ließe sich die Fläche vielleicht auf 200.000 Quadratkilometer senken – immer noch das Dreifache des Getreideanbaus in Deutschland. Ausgeklammert aus der Bilanz wären die 2,6 Millionen Lkws, 1,3 Millionen Traktoren, der Luft-, Schiff- und Dieselzugverkehr.
Effizienzsteigerungen im Antrieb sind daher zentral, und sie senken zweifellos den Kraftstoffbedarf. Ohne Hybridtechnik und ohne 3-Liter-Pkw bricht unsere Mobilitätskultur noch früher und gründlicher zusammen. Doch mehr Effizienz allein wird die enorme Kluft zwischen nachgefragter Mobilität und angebotenen Bioressourcen nicht schließen können. Und eine Weiternutzung von Erdöl und Erdgas kommt langfristig schon allein aus Klimaschutzgründen nicht in Frage.
Ein Bioenergiesektor, der den wachsenden globalen Mobilitätsnachfrage abdecken soll, wäre ein dominierender Wirtschaftszweig in den Dimensionen der heutigen Mineralölindustrie. Die strukturellen Probleme in den zumeist ärmeren und abhängigen Herstellungsländern wären vermutlich ähnlich denen der Erdölindustrie heute. Anders als diese müsste die Bioökonomie hingegen aggressiv in der Fläche expandieren. Woher sollen die vielen Millionen Quadratkilometer Anbaufläche kommen? Bereits gegenwärtig werden riesige Waldgebiete für die Umnutzung zu Acker und Wiese vernichtet. Anbau für Biosprit, als globales Projekt, wird den Prozess enorm beschleunigen und die Abkehr vom Erdöl durch neue Gefahren für Weltklima und regionale Ökologie kompensieren.
Auch die Konflikte mit der Ökonomie der Welternährung sind bei geringer Vorstellungskraft absehbar. 1996 standen laut UNO-Berichten zur Ernährung einer Weltbürgerin durchschnittlich 0,12 Hektar Ackerland zur Verfügung; bis 2030 wird ein Rückgang auf 0,08 Hektar prognostiziert. Um aber den chronischen Hunger, unter dem gegenwärtig 840 Millionen Menschen weltweit leiden, wirksam zu bekämpfen, müsste der Gesamtertrag an Getreide bis 2020 um 40 Prozent erhöht werden.
Solche Randbedingungen engen den Spielraum einer konfliktfreien Entwicklung der Biotreibstoffökonomie stark ein. Nur wenn sie in kleineren Dimensionen betrieben wird, untergräbt sie nicht die lebenswichtige Ernährungsökonomie, zumal sie wegen des günstigeren Klimas und wegen der extrem niedrigen Löhne in großem Stil in den armen Südländern praktiziert werden dürfte. Und das sind die Hauptgebiete von Hunger und bitterer Armut.
Eine sinnvolle und perspektivenreiche Entwicklung des Biospritsektors ist damit nicht in Frage gestellt. Gute Beispiele sind die verstärkte umweltverträgliche und vielfältige Nutzung von Stilllegungsflächen in Europa, die beginnende Erzeugung von Biogas aus Pflanzenresten oder der Anbau der ölhaltigen Rhizinusfrucht im Nordosten Brasiliens, der zudem der Stärkung kleinbäuerlicher Ökonomie in diesem Land dient. Aber: Diese und weitere Vorhaben der Energielandwirtschaft werden die Mobilitätsnachfrage nur in Bruchteilen abdecken können. Für die Gesamtheit der globalen Autoflotte reicht der Biosprit selbst dann nicht, wenn der 3-Liter-Pkw zum Standard geworden ist. Der Marsch in die Sackgasse einer nicht mehr nachhaltigen Mobilität könnte – und das ist die Hauptgefahr – dann nur bei fortgesetzter Erdölökonomie „bis zum letzten Tropfen“ verlängert werden. Der Preis, den die Menschheit dafür zahlte, stiege noch höher: beschleunigte Erderwärmung, erbitterte Ressourcenkriege, Verwüstung der Fördergebiete beispielsweise beim Abbau von Ölschiefer.
Deshalb ist es klug und vorausschauend, wenn sich die Weltgesellschaft schon jetzt auf die absehbaren Grenzen zukünftiger Mobilität einstellt. Die Staatengemeinschaft braucht neben einem Weltklimaprotokoll auch eine Mobilitätskonvention. Die muss in Rechnung stellen, dass es im Ausmaß der motorisierten Fortbewegung ein unbegrenztes „Weiter so“ schlichtweg nicht geben kann. HARTWIG BERGER