: berliner szenen Paralleluniversum
Karen Duves Märchen
Das kommt ja wie gerufen. Auf dem Weg zum Roten Salon, wo Karen Duve heute ihr neues Buch vorstellt, schneit es. Ein leichter Flaum legt sich über die Dächer und die Autos, auf die Mützen und Kapuzen der Passanten. Der Schnee dämpft die Welt. Es ist, als würde sie es einfordern: Vergesst das mit dem Frühling, schlagt ein dickes Buch auf und wickelt euch in das längste Märchen ein, das ihr finden könnt. In „Die entführte Prinzessin“ zum Beispiel, das neue Buch von Karen Duve.
Der Rote Salon scheint noch samtiger als sonst. Auf den Tischen liegen Schokotaler, der Büchertisch zieht magnetisch an – das himbeerfarbene Cover des neuen Buches ist unwiderstehlich – man muss sich einen Rotwein kaufen. Karen Duve betritt die Bühne. Gut, dass es keine umständlichen Einführungen gibt, wie man sie sonst oft aushalten muss. Gleich mit dem ersten Kapitel zieht Karen Duve ins Paralleluniversum – und obwohl nichts in ihrer Stimme an eine Märchenerzählerin denken lässt, fehlt nur noch der offene Kamin.
Es geht um ein entlegenes Königreich mit einer schönen Prinzessin und ein paar tapferen Rittern, vor allem aber geht es um den Winter, der dort Ewigkeiten dauert. Der schon im Oktober Schnee bringt, der den November zu einem dunklen Loch verzaubert, dem Dezember zwei helle Stunden täglich schenkt und im Januar das Meer zufrieren lässt. Karen Duve liest von Heiratslisten und Galeeren, Entführungen und Pilzgärten. Manchmal blitzt etwas von dem Schalk auf, für den man sie schätzt, meist bleibt sie im Genre. Dann schlägt sie das Buch zu und lädt zur Signierstunde. Keine Fragen. Wozu auch? Märchen sind dazu da, die Welt eine Weile zuzudecken – so wie der Schnee, der draußen noch immer fällt.
SUSANNE MESSMER