: Fischer-Chöre ohne Dirigenten
betr.: Berichte und Kommentare zu den Wahlen in Schleswig-Holstein
Es ist schon erstaunlich mit den Grünen: Sie betreiben eifrig neoliberale Politik – mit der SPD, haben fast alle Prinzipien ihrer Partei- und Wahlprogramme in der Regierungspraxis und für unbedingten Erhalt derselben bzw. der damit zusammenhängenden Pöstchen aufgegeben oder trüb verwässert, aber scheinbar ficht ihre Wählerinnen und Wähler das nicht an. Gegenüber der letzten Landtagswahl haben sie nur 2.000 Stimmen verloren, bei ungefähr gleich niedriger Wahlbeteiligung.
Vergleicht frau aber die Wahlergebnisse mit denen der Bundestagswahl 2002, müsste das Ergebnis den Grünen den Angstschweiß auf die Stirn treiben, wenn sie noch Interesse an ihren Wählerinnen und Wählern hätten. 2[1]/2 Jahre konsequenter neoliberaler Politik, wie sie eine schwarz-gelbe Regierung nie hätte durchsetzen können, könnte einer der Gründe für viele der 300.000 Menschen gewesen sein, nicht zur Landtagswahl zu gehen. Diese Menschen sind wohl eher nicht – wie Rulff in seinem Kommentar („Heimatlosigkeit der kleinen Leute“, taz vom 22. 2. 05) meinte – orientierungslos, sondern wollen einfach diese Politik nicht, die nun unter einer schwarz-gelben Regierung auch nicht wesentlich anders aussähe. Alle (!) Parteien haben in diesem Vergleich Stimmen verloren, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Die Grünen jedenfalls verloren 73.000 ihrer Bundestags-Wählerinnen und -Wähler, das sind 45 %! Aber dies interessiert genauso wenig wie Partei- und Wahlprogramm, denn wie Herr Bütikofer am Montag so schön von sich gab: Die Wahl gewonnen hat, wer die Regierung stellt. Schöne Demokratie!
MONIKA DOMKE, Köln
betr.: „Vereinfacht auf Teufel komm raus“, Kommentar von Bettina Gaus, taz vom 22. 2. 05
Die Frage ist nicht, ob die Affäre um Volmer und Fischer den „Grünen“ geschadet hat, sondern wieso sie ihnen so schaden konnte.
Wir erinnern uns: Auch am Ende der Kohl-Ära kamen Minister über Dinge zu Fall, die läppisch waren im Vergleich zu dem, was sie sich vorher leisten durften. Was kündigt sich da an? Mir scheint, dass mit der Wandlung der „Grünen“ von der Programmpartei zur Krawattenpartei sich auch ihre Klientel gewandelt hat. Das war damals gewollt – mit ein paar Friedensmarschierern konnte man schließlich keine Wahl gewinnen! Jetzt aber dürften zwei Gruppen der heutigen Grün-Wähler auf der Kippe stehen. Da sind zum einen die, die aus einer irrationalen Verbundenheit immer noch grün gewählt haben. Sie mochten enttäuscht sein über den außenpolitischen Opportunismus, die soziale Arroganz, das Einknicken vor der Autolobby; aber solange die „Grünen“ als integer, geradezu als moralische Instanz galten, verbot es sich, die eigene Enttäuschung höher als die religiöse Ehrfurcht zu stellen. Dieses Tabu ist gefallen; Zweifel an der Politik der „Grünen“ sind auf einmal erlaubt; der Kaiser steht in Unterhosen, und man darf zugeben, dass man es sieht. Zum anderen ist da die Gruppe der Joschka-Wähler. Leute, für die Fischer den zuerst etwas schwierigen Sohn versinnbildlichte, der es zu guter Letzt doch zu was gebracht hat. Sie waren eine bequeme Zielgruppe – aber nur, solange Fischer der unangreifbare Medienliebling war. Jetzt werden sie von der Stange gehn – auch wenn sie den Grund für den Trubel gar nicht durchblicken.
Umkehrbar ist dieser Prozess nicht mehr; denn Fischer ist nicht das Problem, sondern nur ein Symptom. Selbst wenn die „Grünen“ Fischer jetzt opferten: Was bliebe übrig? Die Fischerchöre ohne Dirigenten. GERHARD PAULI, Düsseldorf