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Archiv-Artikel

Wenn der Weichzeichner wegfällt

Eine Statistik nach Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zeigt: In Wahrheit sind 15,5 Prozent der Jugendlichen erwerbslos

BERLIN taz ■ Bisher war Deutschland stolz, dass die hiesige Jugendarbeitslosigkeit nicht die Werte erreicht, die in Spanien oder Italien gemessen werden. Dort sind etwa 20 Prozent des Nachwuchses als erwerbslos registriert. Doch diese deutsche Erfolgsgeschichte beruhte auf einer statistischen Selbsttäuschung, wie nun die jüngsten Arbeitsmarktzahlen zeigen.

Durch die Hartz-IV-Reformen ist neuerdings jeder erwerbsfähige Hilfsbedürftige bei den Arbeitsagenturen zu melden. Das führt zu erstaunlichen Rekorden: In Bremerhaven etwa stieg die Arbeitslosigkeit in nur einem Jahr um genau 878,4 Prozent – bei Jugendlichen unter 20 Jahren. Im Januar 2004 wurden nur 51 Schulabgänger ohne Job gezählt; ein Jahr später waren es 499.

Bundesweit gilt für die unter 25-Jährigen: Betrug die Jugendarbeitslosigkeit im vergangenen Dezember noch 10,2 Prozent, so schnellte sie bis zum Februar auf 13,6 Prozent nach oben. Allerdings spiegelt auch diese Zahl nicht die Realität – nahmen doch im Februar weitere 395.000 Jugendliche an „speziellen Maßnahmen für Jüngere“ teil.

Realistischer dürfte daher eine andere Zahl sein. Erstmals erhob das Statistische Bundesamt die Erwerbslosigkeit nach Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die Zahlen liegen immer erst verzögert vor, daher wurden gestern die Januar-Daten veröffentlicht. Ergebnis: Die deutsche Jugenderwerbslosigkeit hat 15,5 Prozent erreicht.

Diese hohe Quote ist umso bemerkenswerter, als die ILO-Zahlen meist die deutschen Daten nach unten korrigieren. So zählte die Bundesagentur im Januar etwas mehr als fünf Millionen Arbeitslose – nach ILO-Statistik waren es jedoch eine Million Erwerbslose weniger, nämlich 3.988.000.

Diese Differenz erklärt sich durch unterschiedliche Erhebungsmethoden: Die ILO-Zahlen basieren auf Telefonumfragen; gleichzeitig gilt nur als erwerbslos, wer noch nicht einmal eine Stunde wöchentlich arbeitet und innerhalb von 14 Tagen zur Verfügung steht. Die Bundesagentur hingegen zählt auch Menschen als arbeitslos, die weniger als 15 Stunden pro Woche jobben.

So haben die ILO-Zahlen einen paradoxen Effekt: Die Bundesregierung erhoffte sich von der neuen Erhebungsmethode, dass sie das Drama am Arbeitsmarkt weicher zeichnet. Und das geschieht im Normalfall auch: Laut ILO lag die Erwerbslosigkeit im Januar nur bei 9,4 Prozent – die Bundesagentur hatte damals hingegen eine Arbeitslosenquote von 12,1 Prozent errechnet.

Doch hinter dem neuen weichen Schein tritt ausgerechnet bei den Jugendlichen erstmals das ganze Drama zu Tage: In Wahrheit sind sie doppelt so oft arbeitslos wie die Erwachsenen. Das war den bisherigen Zahlen der Bundesagentur nicht abzulesen, im Gegenteil. Selbst nach den Hartz-IV-Korrekturen nimmt sich die Jugendarbeitslosigkeit dort nicht besonders dramatisch aus: Sie betrug, wie gesagt, im Februar 13,6 Prozent – insgesamt lag die Quote bei 12,6 Prozent.

Die Chancenlosigkeit vieler Jugendlicher beginnt schon in der Kindheit, auch dazu gibt es neue Zahlen im Arbeitsmarktbericht. Die Wohlfahrtsverbände haben stets gewarnt, Hartz IV werde dazu führen, dass die Zahl der bedürftigen Kinder von 1 auf 1,5 Millionen steigen würde. Genau dies dürfte geschehen sein: Im Februar bekamen 1.538.000 „nicht erwerbsfähige Personen“ in den „Bedarfgemeinschaften“ Sozialgeld. Dies seien „vor allem Kinder“. ULRIKE HERRMANN