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Archiv-Artikel

Bettelstudenten

32 Prozent der Studierenden erwägen den Abbruch ihres Studiums aus Geldmangel

Rodion Romanowitsch Raskolnikow, Jurastudent und Held in Dostojewskis Meisterwerk „Verbrechen und Strafe“, wird, von Geldnot getrieben und von seiner hohen Begabung verführt, zum brutalen Mörder. Ein Szenario aus der Sagenwelt des zaristischen Russland? Oder schon nah an der Realität der von Geldsorgen getriebenen Studierenden hierzulande?

So groß ist die Sorge um die Finanzierung, das viele Abiturienten überlegen, auf ein Studium zu verzichten. 32 Prozent der Studenten erwägen aus Geldnot einen Studienabbruch. Das ergab eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach im Auftrag des Reemtma Begabtenförderungswerks. Die Studie „Chancengleichheit bei Studienfinanzierung“ zeigt auch, dass sich die meisten der geplagten Studierenden (78 Prozent) kaum Chancen ausrechnen, ein Stipendium zu erhalten, und sich deshalb nicht um Förderung ihrer Ausbildung bewerben.

Eine einfachere Lösung bietet die Jobbörse absolventa.de an. Sie schrieb im letzten Herbst ein „demokratisches Stipendium“ aus. Auf der Internetseite präsentieren sich nun 534 Studenten, die dort Höhe und Verwendungszweck des gewünschten Stipendiums erklären können. Mit verschiedenen Strategien, mal mitleiderregend, mal kreativ mit Videoauftritt oder Slideshow, beschreiben sie ihr Vorhaben und ihren Lebenslauf. Michi möchte gerne 15.000 Euro für sein Studium und präsentiert sich im Stile eines Wahlkämpfers vorm 1-Euro-Shop. Wählt Michi! Andere sind bescheidener und fragen höflich mit Kinderzeichnungen nach Geld für ein Flugticket, um im Ausland wichtige medizinische Forschung durchführen zukönnen. Manche legen auch ihren harten Alttag offen, wie die 30-jährige Sina, die um halb fünf aufstehen muss, um 100 Kilometer zu ihrer Uni zu pendeln. Ihr Bäfog wurde gestrichen. Ihren neunjährigen Sohn erzieht sie allein. Mit dem Geld möchte sie ihre Studiengebühren bezahlen und den Studienkredit tilgen. Entscheiden darf der Internetnutzer.

„Meistens richtet sich die Stipendienvergabe nur nach den Zensuren. Kreative und sozial engagierte Projekte fallen da häufig durch“, erklärte Felix Schrüning von absolventa e.V. der taz. Aus der Durchsicht der vielen Lebensläufe bei der Arbeit an der Jobbörse kam die Idee, denen eine Chance zu geben, die sonst durch das Raster fallen.

Bis heute darf noch darüber abgestimmt werden, welche der Bettelstudenten an den insgesamt 25.000 Euro Fördergeldern teilhaben dürfen, die private Sponsoren aus der Wirtschaft zur Verfügung stellen.

Deutlich äußerte sich Prof. Dr. Rolf Dobischat, Präsident des Deutschen Studentenwerks, zu der veröffentlichten Studie. „Von einem Stipendiensystem, das diesen Namen auch verdient hätte, sind wir in Deutschland weit entfernt. Weder die Länder mit Studiengebühren noch die Wirtschaft haben bisher ihre vollmundigen Ankündigungen eingehalten.“

So viel Freude es macht, Dostojewski zu lesen, es ist immer noch nicht dafür gesorgt, dass die Studenten sich das Buch auch kaufen können.

ROBIN THIESMEYER