: Weder neoliberal noch undemokratisch
LINKSPARTEI Das Verfassungsgericht hält die Argumente der Kläger für unbegründet. Nur in Sachen Grundrechte kommt es ihnen entgegen
Karlsruhe taz | Gregor Gysi freute sich am Dienstag über die „demokratische Nachhilfestunde“, die das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestags erteilt habe. Gysi hatte mit 52 weiteren Politikern der Linkspartei als Privatperson gegen den Lissabon-Vertrag geklagt.
Allerdings standen die Linken, wie schon bei der mündlichen Verhandlung, im Schatten von Peter Gauweiler. Das lag zum einen daran, dass die Linke in ihrer um Nationalstaatlichkeit und Demokratie bedachten Argumentation weitgehend dem CSU-Politiker folgte, aber nicht so präzise argumentieren konnte. Zum anderen waren die Kritikpunkte, die ausschließlich von der Linken kamen, recht weit hergeholt und spielten für das Urteil nur am Rande eine Rolle.
So hatte die Linke behauptet, der Vertrag ermögliche Bundeswehreinsätze ohne Zustimmung des Bundestags. Dies wiesen die Richter zurück: „Der Wortlaut des Vertrags von Lissabon verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, nationale Streitkräfte für Einsätze der Europäischen Union bereitzustellen.“ Der Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze sei nicht in Gefahr.
Ähnlich lautete die Antwort auf Kritik der Linken, der Lissabon-Vertrag lege die EU und die Mitgliedstaaten auf eine „neoliberale“ Wirtschafts- und Sozialpolitik fest. Dem hielten die Richter das Ziel des Vertrags entgegen, ein „hohes Beschäftigungsniveau“ und „angemessenen sozialen Schutz“ zu gewähren. Es sei „unzutreffend“, dass die Mitgliedstaaten der EU keine selbstbestimmte Sozialpolitik mehr betreiben könnten. Ebenso sei nicht ersichtlich, dass die EU eine soziale Politik behindern wolle.
Erfolg hatten die Linken nur insoweit, als das Bundesverfassungsgericht sich nun ausdrücklich auch um den Schutz der Menschenwürde gegen EU-Rechtsakte kümmern will. Die Linke hatte eine Aussage des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kritisiert, wonach die in Deutschland „unantastbare“ Menschenwürde mit wirtschaftlichen Interessen abzuwägen sei. Dieser Fauxpas hatte zwar nichts mit dem Lissabon-Vertrag zu tun, inspirierte nun aber die Verfassungsrichter offenbar dazu, den Kern der deutschen Verfassung künftig selbst zu schützen. Bisher hatten sie den Grundrechtsschutz in Europa dem EuGH überlassen, „solange“ der seine Arbeit ordentlich mache.
CHRISTIAN RATH