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Archiv-Artikel

Zu blöd, ich bin der Sänger

Mikro über die Schulter geworfen, Zigarette wäre jetzt nicht schlecht: Conor Oberst gab mit seinen Bright Eyes im Postbahnhof den Indie-Streber. Komisch, dass seine Songs auf dem nächtlichen Nachhauseweg trotzdem nachhallten

Die gute Nachricht zuerst: Conor Oberst ist gar nicht das schwer verträumte Wunderkind, der süße Posterboy und androgyne Winona-Ryder-Lookalike, als welche er seit Monaten von den Covern der Musikmagazine grüßt. Im restlos ausverkauften Postbahnhof kommt der 24-jährige Singer/Songwriter, Labelchef und amerikanische Nr.1-Single-Hit-Inhaber aus Nebraska mit seiner Band Bright Eyes so entschlossen auf die Bühne wie ein Mann auf dem Weg zur Arbeit. Oberst hat ein ausgeprägtes, leicht fliehendes Kinn, die bekloppte Mädchenfrisur dient vor allem dazu, die Segelohren zu verdecken, und ihn umgibt von Anfang an etwas Gehetztes und gleichzeitig Energisches, die Nervosität eines Movers und Makers, Pushers und Shakers!

Und los geht’s mit dem Opener des – um in der Kicker-Fachsprache der Rezensenten zu bleiben – ganz hervorragenden aktuellen Album „I’m Wide Awake It’s Morning“, dem hymnischen Country-Folk-Abräumer „At The Bottom Of Everything“, allerdings ohne den hübschen kleinen Prolog mit der Frau in dem Flugzeug, das abstürzt, während ihr Sitznachbar eine Birthday-Party für sie feiert. „We must talk in every telephone, get eaten off the web“! Es geht um alles: Verzweiflung, globalen Protest im Zeichen des Antikapitalismus, buddhistische Gelassenheit im Auge der Apokalypse, die Erkenntnis, niemand zu sein.

Im Publikum werden dazu die Fotohandys hochgehalten. Oberst intoniert mit überdeutlicher Phrasierung – Achtung, Poetry! –, lässt chefmäßig den grottig abgemischten Sound seiner Akustischen korrigieren und nuschelt dann halb weggedreht was fürs Publikum: „’nk you for coming. Beautiful town, beautiful people, happy to be here.“ Cooler wurde ein Veranstaltungsort in einem Popkonzert noch nicht abgefrühstückt, Betonung auf „town“, kein Ausrufezeichen. Der nächste Song heißt „We Are Nowhere And It’s Now“.

Präsentiert werden: Gediegener Country-Folk einer gut eingespielten Band, schön versponnene Gedicht-Interpretationen über Spaziergänge oder einen ominösen „yellow bird“, Obersts geheimes Leitmotiv. Eine Stimme, der es immer wieder gelingt, sich eine gewisse Ähnlichkeit zu Robert Smith ekstatisch vom Leib zu schreien. Aber zwischendrin auch viel Zeit zum Nachdenken, ob das jetzt wirklich das nächste große Ding sein soll.

Denn natürlich weiß man schon wieder viel zu viel über Conor Oberst: Der Geheimtipp, dem ausgerechnet die grandios zum Scheitern verurteilte „Vote for Change“-Tour in den USA zum kommerziellen Durchbruch verhalf. Das junge Talent, das überall rumerzählen lässt, wie Bruce Springsteen ihn angerufen hat, um ihm alles Gute zu wünschen (kleiner Tipp ans Management: wie cool ist das eigentlich?).

Das alles führt jedenfalls dazu, dass man Conor Oberst an diesem Abend gerade mit seinem lässigen Gepose – Mikro über die Schulter geworfen, Zigarette wäre jetzt nicht schlecht, „Too bad, I’m the singer“ – irgendwie für einen Indie-Streber zu halten beginnt.

Dazu kommt dann noch eine gewisse Altklugheit, wie sie der Traditionspflege des Country-Genres bei Bands wie den Bright Eyes innezuwohnen scheint: eine musikalische Ideenlosigkeit und ein Mangel an wirklich für sich stehenden Songs wie „Train Under Water“ und „Another Travellin’ Song“. Das etwas experimentellere Material des zweiten, zeitgleich veröffentlichten und nicht ganz so hervorragenden Albums „Digital Ash In A Digital Urn“ wird gar nicht erst gespielt. – Oder, wie die Zuhörerin neben mir zu ihrem Freund meint, als dann tatsächlich mal was Poppigeres kommt: „Das gefällt mir besser, das hat nicht so viele Country-Elemente. Ich hasse Country.“

So kippt dann die Stimmung im Saal irgendwann um. Während Conor Oberst vorne auf der Bühne allein zur Akustischen sein Innerstes nach außen kehrt, als wäre er der erste Mensch, dem eingefallen ist, dass Liebe grausam sein kann, quatscht es hinten vom Tresen dauernd dazwischen: alles halb so schlimm. Naturgemäß wird die zweite Zugabe, „When The President Talks To God“ („Does he ever smell his own bullshit? – I doubt it“), von dem Michael-Moore-Volk am heftigsten bejubelt. Es ist der mit Abstand schwächste Song.

Aber seltsam: Kaum ist man dann auf dem Nachhauseweg der Stille der kalten Winternacht anheimgegeben, beginnen die intimen Songskizzen der Bright Eyes schon wieder versöhnlich in einem nachzuhallen, fernab von der Person Oberst und seinem Publikum. Und die Frage, ob Conor wirklich mal ein ganz Großer werden kann oder muss, interessiert plötzlich nicht mehr.

ANDREAS MERKEL