piwik no script img

Archiv-Artikel

Scheiß Zentralperspektive

Elfriede Jelineks „Und dann nach Hause“ versucht ihr Stück „Wolken. Heim.“ mit den Opel-Streiks kurzzuschließen. Doch der neue Textteil enttäuschte bei der Uraufführung im Berliner Ensemble

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es beginnt mit einer Verortung: „Da glauben wir immer, wir wären ganz außerhalb. Und dann stehen wir plötzlich in der Mitte. Heilige, die im Dunkeln leuchten.“ Elfriede Jelineks Text „Wolken. Heim.“ vermisst den Ort eines Wir in der Sprache. Bewegungen tauchen auf, ein Wollen formiert sich. Das Wir ist expansiv, breitet sich aus, pocht auf Rechte der Abstammung, verdrängt alles Nicht-Wir, erregt sich bei Vorstellungen von Opfer und Endzweck, beruhigt sich mit Liedern des Waldes. Es ist ein unheimlicher Text, der in nationalistisch tümelnden Gründen schürft, sich an den Duktus einer emphatischen Sprache schmiegt und die Geistesgeschichte des deutschen Idealismus leuchten lässt wie einen Leib in Verwesung.

Dieses grünliche Schimmern eines Zombies und Wiedergängers prägt auch das Bühnenbild von Achim Freyer, in dem Claus Peymann Jelineks Text fast als kabarettistische Veranstaltung aufführen lässt. Das Stück „Wolken. Heim.“, uraufgeführt 1988 und vor allem in einer Inszenierung von Jossi Wieler aufs Beste ausgeleuchtet, hat einen zweiten Teil dazubekommen, sodass das Berliner Ensemble wieder eine Uraufführung ankündigen konnte: „Wolken. Heim. Und dann nach Hause.“

Während der ältere Stückteil Geistesgeschichte vor sich her treibt und sich in den sprachlichen Gesten an den hohen Ton von Dichtern und Philosophen anlehnt, ist der zweite ganz auf Gegenwart gerichtet: er begibt sich auf die Suche nach einem Wir im Arbeitskampf. Anlass waren Streiks bei Opel in Bochum und die Angst vor Werksschließungen. „Mein persönlicher, wie immer irregeleiteter Idealismus hat darin“, kommentiert Jelinek selbst, „auch den Beginn einer neuen Solidarität unter Werktätigen sehen wollen.“ „Und dann nach Hause“ hebt öfters an, ein Trauergesang zu werden, in den sich dann doch immer etwas Peinliches mischt, Spurenelemente der Vorgeschichte von Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit. Es ist ein vermasseltes Wir, mit dem sich anzufreunden der Dichterin auf Dauer dann doch nicht gelingen will.

Elfriede Jelinek muss letztes Jahr sehr beschäftigt gewesen sein. Schon allein wegen der Entgegennahme der vielen Preise beziehungsweise der Abwehr des damit einhergehenden Rummels. Sie bekam 2005 nämlich nicht nur den Literaturnobelpreis, sondern auch den Lessing-Preis für Kritik, den Franz-Kafka-Literaturpreis, den schwedischen Stig-Dagermann-Preis, den Hörspielpreis der Kriegsblinden und zum zweiten Mal den Mülheimer Dramatikerpreis. Da ist es erstens verständlich, dass das Berliner Ensemble ob seiner anstehenden Jelinek-Premiere die Nobelpreisverleihung feierte, als hätte es ihn mitverdient. Zumal die Dichterin selbst ja lieber zu Hause blieb. Da war es zweitens vorhersehbar, dass mit der gestiegenen Anerkennung der Autorin jetzt ein bisschen gepokert wird. Und so ahnt man drittens schon, dass der neue Textteil unter den Erwartungen zurückgeblieben ist.

Zumal der hölzerne Zugriff das ganze Stück alt und wie ein zahnloses Kuriositätenkabinett aussehen lässt. Es fehlt die Fallhöhe; es fehlt im ersten Teil, überhaupt einmal zu spüren, wie das, was jetzt wie die Untoten im Unterirdischen rumort, sich denn anfühlte, als es noch lebendig war. Noch mehr fehlt, erahnen zu lassen, wo und wie es sich denn in der Gegenwart verkörpert. Es ist zu einfach, diese gespenstische Versammlung zu verurteilen. Dass ihre Verführungskraft weiterbrodele, bleibt Behauptung.

Das Bühnenbild gehorcht der Zentralperspektive, eine zum Tunnel verengte Guckkastenbühne: Das ist ein symbolischer Raum, der Bewegungen und Fantasie einschränkt, kein Außerhalb und kein Ausweichen zulässt. Er hält das Maßlose der Sprache nicht nur in Schach, er macht es auch klein. Die vierzehn Schauspieler, grün befrackt und grotesk geschminkt, agieren in ihm als ein chorisches Wir, das alle Ausfälle und Spitzen immer wieder einebnet.

Zweifellos ist die Textvorlage kompliziert: nicht nur, weil Zitate von Hölderlin, Hegel, Kleist, Heidegger und aus Briefen der RAF ohne Kennzeichnung einmontiert sind, sondern mehr noch, weil die Sprecher dieser Selbstermächtigungen und Rechtfertigungen nie zu fassen sind. Weil niemand genannt wird, sind alle gemeint. Dieser Text legt ständig Fallen aus: Man ahnt, man soll erst hineintappen und sich dann ertappt fühlen. Aber man fällt nicht hinein, man fühlt sich nicht ertappt, man kann das als Theaterzuschauer ruhig denen da oben auf der Bühne überlassen.