piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wie Hänsel und Gretel“

PERU–TREPTOW Ein Gespräch mit dem Schausteller Norbert Witte über seine straffälligen Verwicklungen

Norbert Witte

■ Spross einer Schaustellerdynastie aus dem Ruhrgebiet, übernahm kurz nach der Wende den Spreepark im Plänterwald in Treptow. Einer der größten Freizeitparks des wiedervereinigten Deutschland sollte entstehen. Nach Konflikten mit den Berliner Behörden und einem Berg Schulden setzte sich Witte mit mehreren seiner Fahrgeschäfte nach Peru ab. Die Rückkehr sollte 2002 mit dem Schmuggel einer Kokain-Ladung erkauft werden. Bei der Aktion wurde Wittes 20-jähriger Sohn Marcel in Peru verhaftet und später zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.

INTERVIEW CLAUDIA LENSSEN

taz: Herr Witte, was haben Sie in Peter Dörflers Film „Achterbahn“ über sich erfahren?

Norbert Witte: Ich habe festgestellt, wie alt ich geworden bin. Es ist ungewohnt, wenn man sich selber sieht, aber ich habe zugestimmt zu dem Film, weil ich hoffe, dass er meinem Sohn helfen kann. Je mehr Leute ihn sehen, desto aufmerksamer sind die deutschen Behörden. Zudem konnten meine Exfrau Pia und meine Tochter Sabrina während der Dreharbeiten nach Peru fahren, wir hätten sonst nicht das Geld dafür. Gut, ich bin der Bösewicht, aber der Film zeigt die Geschichte von allen Seiten.

Ihre Exfrau kann Ihnen die Verhaftung Ihres Sohnes nicht verzeihen.

Wir waren über 30 Jahre zusammen, da weiß ich, was sie sagt. Sie ist die Mutter, klar. Wir müssen so lange zusammenhalten, bis unser Sohn wieder da ist. Damals in Peru habe ich versagt, ich hätte dafür sorgen müssen, dass der Junge nicht dabei ist.

Kann der Film Ihrem Sohn helfen?

Mittlerweile hat die Bundesrepublik Deutschland einer Überstellung zugestimmt. Jetzt wird die deutsche Botschaft mit den peruanischen Behörden verhandeln, wie das ohne Auslieferungsabkommen ablaufen kann. Er müsste hier einen Teil der Strafe für Peru absitzen, aber es geht um Strafmaße, die sich auf demokratische Verhältnisse nicht umrechnen lassen. Demnächst wird in Peru entschieden, ob Marcel ein neues Verfahren bekommt. Vielleicht entscheidet das Gericht zu seinen Gunsten, weil Menschrechte verletzt wurden. Er konnte damals kein Spanisch, hatte keinen Anwalt und Dolmetscher, keine Akteneinsicht. Wenn es gut läuft, kommt er unter Hausarrest. Die Überstellungsanträge laufen parallel. Hier kann man in der Haft Berufe lernen, dort nicht. Es gibt keine medizinische Versorgung, kein ausreichendes Essen, dafür Banden. Diese Länder lassen strafgefangene Ausländer ungern raus, sie bringen Geld.

Im Film machen Sie die Berliner Behörden für Ihr Fiasko im Plänterwald verantwortlich. Haben Sie Reaktionen darauf bekommen?

Das wird man sehen. Es gibt eine neue Investorengruppe für das Gelände. Meine Exfrau und ich unterstützen sie, indem wir zu ihren Gunsten unsere Pachtverträge mit dem Land Berlin lösen. Das soll auch ein Freizeitpark werden, allerdings ohne Achterbahn. Die Gruppe will auch ein Parkhaus für 900 Autos bauen. Als Kleinunternehmer hätten wir es damals nicht bezahlen können. So ein Park hat im Jahr maximal drei Monate Hochsaison, dazu kommen sechs Monate Winterpause. Wir hatten ein Konzept, bei dem damals die Banken kein Geld für ein Parkhaus geben wollten. Wir gingen von Parkplätzen am Boden aus, aber die auf unserem Gelände zu schaffen, ist abgelehnt worden. Die neue Konzeption legt mehr Wert auf auf Touristen, und die kommen meist ohne Auto in die Stadt. Damals wollten wir einen Freizeitpark in alter Tradition für Leute aus Berlin und der Umgebung. Wir können das bilanztechnisch beweisen, dass die Umsatzeinbrüche mit den Hauruckaktionen der Parkverbote zu tun hatten. Ich habe mit neuen Investitionen versucht gegenzusteuern. Aber draußen zockten mehr Ordnungskräfte die Autofahrer ab, als wir drinnen Mitarbeiter hatten.

Was haben Sie sich von dem Koks-Transport versprochen, als Sie mit dem Rest der Fahrgeschäfte aus Peru zurückkehren wollten?

Es gab nie einen Transport nach Deutschland, das ist gerichtlich bestätigt. Ich habe nie Drogen gekauft oder verkauft. Ich habe mein Geschäft den Drogenhändlern zur Verfügung gestellt, damit die etwas verstecken können. Wenn ich Geld bekommen hätte, wäre in Holland Schluss gewesen, wo die Container entladen wurden. Die Justiz warf mir vor, dass ich hier vorsorglich hätte melden müssen, dass ich dort bedroht wurde. Aber ich dachte, ich nehme das Geld und finde mich mit der Bedrohung ab. Ich habe sieben Jahre bekommen und davon zwei Drittel im offenen Vollzug abgesessen. Anders wäre es gewesen, wenn ich die Geschichte in Peru hätte belegen können. Aber dann hätte der V-Mann, der selber ein Täter war, mit nach Deutschland kommen und hier die Wahrheit sagen müssen. Er meldet sich immer noch per Mail bei mir und versucht, Geld zu erpressen.

Wie sehen Ihre Perspektiven aus?

Ich habe letztes Jahr schon wieder Weihnachtsmärkte gehalten. Ich baue gerade große transportable Ausschankbetriebe. Wir müssen das Gelände in Treptow sichern, bis es endgültig verkauft ist. Da laufen Kosten auf, um die zu minimieren, wohne ich da und mache den Wachschutz selber. Das tut weh, da liegt ja Herzblut drin. Manchmal kommt mir das wie ein Märchen vor, wie Hänsel und Gretel. Ich bin nach Peru abgehauen und sitze doch wieder in Treptow.