: Gebrüder Immlers Isnyland
AUS ISNY HEIKE HAARHOFF
Die Gebrüder Karl und Jakob Immler sind gewiss keine Sprücheklopfer. Aber es gibt Lebensweisheiten, die sie nicht für sich behalten möchten. „Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern was du für den Staat tun kannst“, ist so ein Motto. Kennedy hat den Satz mal gesagt, und Immlers haben ihn in Stein meißeln lassen – mitten in die Wand der neuen Realschule von Isny, und geringfügig verändert, „Staat“ ersetzten sie durch „Stadt“.
Das konnte als Seitenhieb verstanden werden und war ihr gutes Recht, finden die beiden Immobilienunternehmer aus dem Allgäu. Schließlich hatten sie der Stadt Isny das vier Millionen Mark teure Schulgebäude 1999 komplett und zinslos vorfinanziert – eine Einmaligkeit in der Schulgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.
„Das ist nicht mehr unsere Schule, wir betreten sie nicht mehr.“ Die Brüder Immler, Karl ist 57, Jakob 55 Jahre alt, sprechen den Satz fast gleichzeitig aus, er klingt wie ein Fluch. Sie sitzen an einem ovalen Holztisch im Konferenzraum ihrer Firma am Rande des Gewerbegebiets von Isny. Mit ihrer Überzeugung, dass es weder manierierter Sprache noch maßgeschneiderter Kleidung bedarf, um bei den Eliten der Allgäuer Geschäftswelt zu bestehen, wirken sie wie Zwillinge. Seit 30 Jahren verdienen sie ihr Geld mit dem Bau und der Vermietung großer Flachdachhallen an Supermärkte, Drogerieketten und Gartenbaucenter. Von Oberstdorf bis Stuttgart verbinden Banken und Kunden ihren Namen mit Solidität. In Isny sind sie die größten Mäzene. Sie sagen: „Wir dachten, ein Handschlag zählt etwas.“
Aber bei der Einweihung war der Wandspruch zugehängt. Und von dem „Neidhammelfest“ war auch keine Rede mehr. Als Bedingung für ihr Engagement hatten die Brüder der Stadt nämlich das Versprechen abgenommen, dass jedes Jahr ein ausgestopfter Hammel öffentlich verbrannt werden sollte – damit in Isny die Neidhammel aussterben. Insbesondere die, die den wirtschaftlichen Erfolg der Gebrüder Immler nicht ertragen. Aber obwohl sie die Realschule finanziert hatten, wurden ihre Wünsche nicht erfüllt.
Trotz der Enttäuschung wollen Karl und Jakob Immler jetzt wieder bauen. Wieder in Isny, wieder für Isny, wieder auf eigene Kosten. Mit einer Unterstützung seitens der Stadt rechnen sie nicht. „Aber wir bauen schließlich nicht, damit man uns den roten Teppich ausrollt“, sagt Karl Immler. Dabei vereint ihr Vorhaben Eigeninitiative, Verantwortung fürs Gemeinwohl, neue Arbeitsplätze – alles, was gemeinhin auf dem Wunschzettel von Politikern an Unternehmer steht. Eine ganze Siedlung, 50 frei stehende Häuser à 200 Quadratmeter Wohnfläche plus Gärten, Straßen, Plätze, wollen die Brüder in den kommenden 15 Jahren mit ihrem privaten Kapital nach Isny zaubern – und für einen symbolischen Euro pro Monat an kinderreiche Familien vermieten.
Wer seit mindestens drei Jahren in Isny lebt, vier Kinder hat oder mehr, und bereit ist, diese nach Schulschluss selbst zu betreuen, zugleich die Großeltern bei sich zu Hause pflegen möchte und zusätzlich noch 20 Stunden ehrenamtliche Arbeit pro Monat leisten kann, soll einziehen dürfen. In eine Wohnform, die sich viele große Familien kaum leisten können: ein Eigenheim.
Ähnlichen Idealismus hat es auch andernorts gegeben. Er endete meist bei der Kreditwürdigkeit. Das Konzept der Gebrüder Immler scheint seriös kalkuliert. Die Stiftung, die die Siedlung aufbauen soll, haben die Brüder am vergangenen Heiligabend gegründet, das Kapital stammt aus den Mieteinnahmen eines ihrer Supermärkte. Um ein 50.000 Quadratmeter großes Grundstück am Stadtrand verhandeln sie mit einem Privateigentümer. 14.200 Einwohner zählt Isny. Die Siedlung böte Wohnraum für 400 bis 500 Menschen zusätzlich.
Die Realschule subventionierten die Immlers vor Jahren, weil deren Absolventen im Idealfall sind wie Isny und ein bisschen wie die Brüder auch: bodenständig, berechenbar, konstruktiv. Jetzt aber geht es ums große Ganze. Die Siedlung soll zum ersehnten demographischen Wandel in dem Luftkurort beitragen. Und Maßstäbe setzen: welche Formen des Zusammenlebens förderungswürdig sind und welche nicht. Denn wer ein Immler-Haus will, muss auch ein Immler-Leben führen.
Karl und Jakob Immler. Beide tragen Vollbart, beide haben Hausfrauen und drei beziehungsweise zwei Kinder. Wenn sie sich mal Urlaub gönnen außerhalb des Allgäus, dann bestimmt nicht in mondänen Gegenden: eine Ferienanlage auf Gran Canaria, finden sie, tut es auch. Bei allem beruflichen Erfolg haben sie nie das Maß verloren.
Die Brüder sagen von sich, dass sie viel Glück hatten im Leben. Sie waren die ältesten von sieben Geschwistern. Ihre Eltern hatten einen Hof, jeweils drei Kinder teilten sich ein Zimmer. Wer Taschengeld wollte, musste es sich erwirtschaften: durch Schuheputzen, Gartenarbeit, Abwasch, Betreuung der Kleineren. Die Verhältnisse waren bescheiden, der Zusammenhalt der Familie riesig. Niemals, sagen die Brüder, wäre jemand auf die Idee gekommen, den Staat anzubetteln. Das verbot die Ehre. Und haben sie nicht selbst bewiesen, dass man es schaffen kann, aus eigener Kraft?
Die Immlers sind Einmischer. Seit Jahrzehnten investieren sie überschüssige Gewinne großzügig in gemeinnützige Projekte, Brunnen, Radwege, Skulpturen. Dinge, für die der Stadt das Geld fehlt, bedauert der Bürgermeister. Dinge, zu denen die Stadt unfähig ist, weil sie vom Rechnen nichts versteht, höhnen die Immlers.
So was verletzt Eitelkeiten, zumal in einer Kleinstadt. „Die Brüder bekämen viel mehr Anerkennung, wenn sie nicht immer so auf ihre eigenen Vorstellungen pochen würden“, sagt die Leiterin der Realschule. „Sie haben einen ausgeprägten gesunden Menschenverstand und folglich Schwierigkeiten mit der deutschen Bürokratie“, sagt der Vorsitzende der IHK. „Druck erzeugt Gegendruck“, sagt der stellvertretende Bürgermeister.
Seit ihrer Firmengründung vor bald 30 Jahren haben die Brüder und die Stadt Isny 37 Mal vor Gericht gestanden. Im einen Fall klagten die Geschäftsleute, im anderen die Vertreter der Verwaltung. Mal ging es um die Farbe eines Fassadenanstrichs, mal um die Neigung eines Dachs. Stets waren es Angriffe auf die Meinungsfreiheit, sagen die Immlers. Stets sollte gezeigt werden, dass es keine Sonderbehandlung einzelner Bauherren gibt, egal, wie altruistisch ihre Ideen auf anderem Gebiet seien, argumentiert die Stadt. 36 Mal entschieden die Gerichte für die Immlers, ein Verfahren endete mit einem Vergleich.
„Wir lieben unsere Heimat“, sagt Karl Immler. Nicht jeder im Ort nimmt den Brüdern das ab. Es wird getuschelt. Steuertricks, womöglich parteipolitisches Interesse. Das Misstrauen ist groß. Die CDU ist traditionell die stärkste Partei in Isny, seit Jahrzehnten stellt sie den Bürgermeister. Ihr anzugehören kann in der Geschäftswelt des Allgäus von Vorteil sein. Die Immlers dachten das auch mal. Vor 15 Jahren traten sie aus. Zu lebensfern erschienen ihnen die Parteioberen: „Die hatten doch noch nie in ihrem Leben richtig gearbeitet, die wussten doch gar nicht, wovon sie sprachen.“
Irgendwer aber, finden sie, muss die drängenden Probleme der Gesellschaft lösen, doch der Staat ist der Letzte, dem sie diese Aufgabe zutrauen. „Denn was tut der Staat gegen Kinderlosigkeit?“ Jakob Immler ruft die Frage aus, er ist der impulsivere der Brüder, und angesichts der Zornesröte in seinem Gesicht errät man, dass es nur das Falsche sein kann, was der Staat unternimmt, um seine Bevölkerung zu mehren. Er schreit fast: „Ein Reparaturbetrieb ist der Staat!“. Subventioniert teure Kindergärten, Schulspeisungen und Hausaufgabenbetreuung. Ermöglicht dadurch manchen Frauen, dass sie auch arbeiten, na schön. Aber zu welchem Preis? Zum Preis von Schlüsselkindern, Rauschgiftsüchtigen, Alkoholabhängigen. Und man soll ihm, Jakob Immler, bloß nicht kommen mit Einwänden. Dass sich der Eindruck aufdrängt, beispielsweise, dass, wenn man so schlendert durch die schmalen Gassen des Luftkurorts Isny, die verschneiten Voralpen im Blick, dass man dann also leicht versucht ist zu glauben, die größte Gefahr, dass Kinder hier vom rechten Weg abkommen könnten, seien herabstürzende Dachlawinen.
Mag ja sein, dass es anderswo schlimmer ist. Für seinen Bruder und ihn ist das kein Maßstab. Sie beobachten seit Jahren die Kinder in der angeblich heilen Welt von Isny. Kinder, deren Eltern nicht da sind und wenn doch, dann von der Arbeit gestresst und gleichgültig gegenüber den Bedürfnissen ihres Nachwuchses. Was soll aus solchen Kindern werden? Wer vermittelt ihnen Werte, Tugenden, Lebensperspektiven? Und vor allem: das Gefühl, es lohne sich, für eine Gemeinschaft zu leben? Im Job, falls sie überhaupt einen finden, engagieren sich solche Kinder später nicht. Haben aber mit 18 Anspruch auf Wohngeld und Sozialhilfe. So schleppen sie sich durchs Leben, ein Vorbild für niemanden, und irgendwann kommen sie ins Altersheim, weil sich keiner sonst um sie kümmert, und wieder zahlt der Staat. Die Steuern steigen, die Kaufkraft sinkt, und Kinder will schon gar keiner mehr haben, weil das Image, das Familie hat, ein teures, ein unerfreuliches, ein bedrohliches ist.
An ihrer neuen Siedlung aber, sagen die Immlers, wird man sich ein Beispiel nehmen können. Mit einer wissenschaftlichen Begleitforschung wollen sie nachweisen, dass sich die Lebensform, die sie kennen, leben und für die richtige halten, der Volkswirtschaft nützt. Die Chancen sind gut, dass sie den Test bestehen werden. Denn wer einzieht, bestimmen schließlich sie selbst und nicht etwa die baden-württembergischen Wohnungsämter: „Den Sozialhilfeempfänger aus Rostock wollen wir nicht“, sagt Jakob Immler. „Die arbeitslose zwölfköpfige rumänische Familie auch nicht“, pflichtet ihm Karl Immler bei. Die Brüder finden diese Vorstellung lustig.