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crime sceneSerienmorde

Für Schlagzeilen sind Serienmörder immer gut. Erst vor kurzem berichteten amerikanische Zeitungen über die Lösung eines der „spektakulärsten Kriminalfälle aller Zeiten“. Im Bundesstaat Kansas hatte die Polizei den 59 Jahre alten Dennis R. festgenommen, der seit 1974 mindestens zehn Menschen getötet haben soll. Der Wunsch nach „Aufmerksamkeit“, den R. in anonymen Bekennerschreiben geäußert hatte, bestätigt wieder einmal die These, dass Serienmörder von Geltungsbedürfnis getrieben werden. Dieser divenhafte Zug hat der Figur des „serial killer“ seit den Achtzigerjahren zu einer steilen Karriere in Hollywood verholfen. Filme wie „Das Schweigen der Lämmer“ und „Sieben“ gelten als Meilensteine eines Genres, das inzwischen jedoch wenig Neues bietet. Es herrscht allein noch die Regel, mit jedem Film noch mehr Tabus zu brechen. Das jüngste Beispiel dafür ist James Wans Film „Saw“, der neben der Vivisektion eines Menschen noch eine ganze Menge anderer kranker Einfälle aufweist.

Immerhin ist die Literatur zum Thema differenzierter. Hier gibt es erst einmal einen ungebrochenen Boom von „true crime“: Immer neue Bücher widmen sich der Kriminalgeschichte von Jack the Ripper bis zum „Washington Sniper“. Unter anderem ist gerade Wolfgang Schülers informativer Band „Serienmörder in Deutschland“ erschienen, und wer sich weiter einarbeiten möchte, kann darüber hinaus auf eine umfangreiche Backlist zurückgreifen.

Im Gegensatz zu den Prognosen aus Hollywood gelangen die meisten Kriminalhistoriker und selbst ernannten Experten in diesen Büchern allerdings zu der Auffassung, dass die Verbrechen der Serienmörder im Laufe der Jahre keinesfalls grausamer werden. Auch in der Belletristik werden die Schmerzensschreie nicht unbedingt lauter. Zwar haben Autoren wie Henning Mankell eine Vorliebe für malerisch gemeuchelte Leichen, sie halten sich aber an bewährte Filmszenarien. Nicht jugendfreie Gewaltdarstellungen wie in „American Psycho“ gibt es dagegen nur selten. Eines der Bücher, die Bret Easton Ellis’ Klassiker an Grausamkeit übertreffen, ist Derek Raymonds „Ich war Dora Suarez“, ein düsterer Thriller aus dem Londoner Zuhältermilieu. Dankbarerweise handelt es sich um keine Neuerscheinung, sodass die Frage, ob man diesen Albtraum wirklich empfehlen sollte, hier nicht beantwortet werden muss.

Ein anderer Roman, der sich dem Phänomen des Serienmordes aus ungewöhnlicher Perspektive nähert, ist dafür gerade erst ausgeliefert worden. In „Die Pythagoras-Morde“ lässt der Argentinier Guillermo Martínez einen Mathematikstudenten in Oxford einer Reihe von Morden begegnen, die offenbar zahlentheoretischen Überlegungen folgen: „ein intellektuell motiviertes Verbrechen“. Abgesehen davon, dass die Morde angenehm unspektakulär sind, zeichnet sich dieser geistreiche Thriller durch seinen schönen essayistischen Erzählton aus, der „Ich war Dora Suarez“selbst vertrackte Gedankengänge zu „logischen Reihen“ in einfache Worte fasst. Nach den ersten Morden steht der Erzähler nämlich vor dem Problem, dass zwar eine morbide Systematik zu erkennen ist, sich allerdings getreu Wittgensteins „Paradox des Regelfolgens“ aus den Ereignissen keine Gesetzmäßigkeit ableiten lässt: Eindeutige Aussagen über das nächste Opfer sind nicht möglich.

Dass sich zuletzt alles „logisch“ fügt, ist dann auch kein Verdienst der höheren Mathematik, sondern der Kriminalliteratur, für die zwei kurz aufeinander folgende Todesfälle gerade noch ein Zufall sind, drei dagegen definitiv eine Serie bilden. KOLJA MENSING

Guillermo Martínez: „Die Pythagoras-Morde“. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Eichborn, Frankfurt a. M. 2005, 204 S., 17,90 Euro Derek Raymond: „Ich war Dora Suarez“. Übersetzt von Gabriele Kunstmann. Maas Verlag, Berlin 2000, 277 S., 11 Euro

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