: Polen bohren pflegeleicht
Als Antwort auf renitente einheimische Kieferklempner holen Niedersachsens Krankenkassen Spangen-Spezialisten aus Osteuropa ins Land. Die erste Praxiseröffnung ist kommende Woche
Klingt skandalös: Deutlich über fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland, und dann wollen die niedersächsischen Krankenkassen Kieferorthopäden aus Osteuropa im Stammland des Kanzlers ansiedeln. Kommende Woche soll der erste Kollege aus Polen den Bohrer ansetzen, weitere Spezialisten aus dem Ausland werden folgen, sagt der Verband der Angestellten-Krankenkassen in Niedersachsen. Zum Einsatz kommen werden die neuen Kieferklempner vor allem in den Regionen Hannover, Hildesheim und Cuxhaven.
Tatsächlich sind laut Joachim Wömpner, Vizepräsident der niedersächsischen Zahnärztekammer, bereits zwei Approbationsurkunden an polnische Ärzte ausgehändigt worden, eine dritte Urkunde wartet darauf, abgeholt zu werden und fünf weitere sind in Arbeit. Wenig erfreut wird darüber der Berufsverband der Kieferorthopäden (BDK) sein: Seit Sommer 2004 zeigen sich Kassen und Kieferorthopäden gegenseitig die Zähne. Wobei der Streit nur in Niedersachsen spielt und auch nur das Fach der Kieferorthopädie betrifft.
Der Streit hat seine Wurzeln in der Gesundheitsreform, die zum 1. Januar 2004 wirksam wurde. Ferner geht es um eine Umverteilung der Honorare unter der Zahnärzteschaft: Die Kieferorthopäden sprachen von Einkommensverlusten von bis zu 40 Prozent, was rund 50 der insgesamt 265 niedersächsischen Kieferorthopäden dazu bewog, unter Protest ihre Kassenzulassung zurückzugeben – in Hildesheim beispielweise sank damit die Zahl der Kieferorthopäden mit Kassenzulassung von elf auf drei. Behandeln wollten die Aussteiger durchaus weiterhin, nur eben nicht auf Chipkarte sondern auf Rechnung.
Womit die Kassen ein deutliches Problem hatten: Die medizinische Versorgung der Patienten sei gefährdet, hieß es. Die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) schaltete sich ein und entzog der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZVN) den Auftrag, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen – ein bundesweit einzigartiger Vorgang. Den Sicherstellungsauftrag bekamen statt dessen im Juli 2004 die Kassen, und für die ist ein Rezept aus der Krise: Kieferklempner müssen her, die mit den Krankenkassen zu den gesetzlichen Bedingungen zusammenarbeiten.
Dabei sei das Anwerben von Ärzten aus Osteuropa „nur ein Baustein“, sagt Hanno Kummer vom Verband der Angestelltenkrankenkassen (VdAK) – man arbeite ferner mit Krankenhäusern zusammen, vergebe Einzelverträge an Zahnärzte mit Kieferorthopäden-Kompetenz und ermögliche Neu-Niederlassungen deutscher Ärzte. Aber reichen tut das nicht: Derzeit hat man aus Kassen-Perspektive immer noch 40 kooperationswillige Kieferorthopäden zu wenig. Es wird weiter gesucht.
Was die polnischen Kollegen betrifft, prüft die Zahnärztekammer deren fachliche Qualifikation und Sprachkompetenz – ansonsten gilt schlicht das Approbationsrecht der EU. Subventionen gebe es nach erhaltener Approbation keine: „Die kommen als Freiberufler“, sagt VdAK-Sprecher Kummer, „und werden hier nicht besser und nicht schlechter gestellt als allen anderen.“ Zahnärztekammer-Vizepräses Wömpner dagegen findet, der Vorstoß der Krankenkassen sei „über das Ziel hinausgeschossen.“ Es sei sinnvoller, mit den abtrünnigen Orthopäden „Sondierungsgespräche“ zu führen. Klaus Irler