: Ein Selbstmord wie bestellt
ln der Ukraine wird Ex-Innenminister Krawtschenko tot aufgefunden. Er war der Hauptzeuge des Mordes an dem Journalisten Gongadse, für dessen Tod viele Ex-Präsident Kutschma verantwortlich machen. Neue Ermittlungen nach dem Regimewechsel
AUS MOSKAU ZITA AFFENTRANGER
Juri Krawtschenko war für Freitagmorgen von der ukrainischen Staatsanwaltschaft zur Einvernahme bestellt worden. Er wurde am Morgen jedoch tot in seiner Datscha bei Kiew gefunden. Der ehemalige Innenminister wurde verdächtigt, in die Ermordung des kritischen Journalisten und Chefredakteurs der Internetzeitung Ukrainskaja Prawda, Georgi Gongadse, verwickelt zu sein, dessen geköpfte Leiche vor bald 5 Jahren bei Kiew gefunden wurde.
In geheimen Tonbandaufzeichnungen aus dem Präsidentenbüro, deren Echtheit das alte Regime kategorisch bestreitet, gibt der damalige Staatschefs Leonid Kutschma seinem Innenminister die Anweisung, Gongadse „den Tschetschenen zu übergeben“, was im Volksmund so viel heißt wie verschwinden lassen. Eine Stimme, die Krawtschenko gehören soll, antwortet, seine Leute seien bereit alles zu tun, was Kutschma befehle.
Der 1995 bis 2001 mit dem Amt des ukrainischen Innenministers betraute Krawtschenko soll – wie Ende Dezember Transportminister Kirpa – Selbstmord begangen haben. Diese Version der Dinge ist allerdings keineswegs unumstritten, schließlich war Krawtschenko die Schlüsselfigur zur Klärung des Mordfalles Gongadse. Der Chef der parlamentarischen Untersuchungskommission zu dem Journalistenmord, Grigori Omeltschenko, hatte noch am Mittwoch die Verhaftung des Exministers gefordert, um dessen Leben zu schützen. Anfang der Woche waren die mutmaßlichen Täter verhaftet worden: Drei hohe Polizeibeamte, die offenbar geständig sind, haben Gongadse der Staatsanwaltschaft zufolge im Herbst 2000 entführt, erwürgt, seine Leiche mit Benzin angezündet und schließlich den Kopf, der bis heute nicht gefunden wurde, vom Rumpf getrennt.
Der neue ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko hatte erklärt, die Aufklärung des Verbrechens sei für ihn eine Frage der Ehre, und kritisierte, das Kutschma-Regime habe die Mörder gedeckt. In der Tat wurden in den sechs Wochen seit Juschtschenkos Amtseinsetzung weit mehr Fortschritte gemacht als in den fünf Jahren zuvor.
Krawtschenko galt wenn nicht als Täter, zumindest als Handlanger in dem Mordfall. Die meisten Menschen in der Ukraine sind überzeugt, dass Expräsident Kutschma direkt in den Mord verwickelt ist, und betrachten ihn als den eigentlichen Hauptschuldigen. Die Ermordung des jungen Mannes wurde in Kiew zum Symbol des Widerstandes gegen das korrupte Regime. Das hat eine nicht unwesentliche Rolle gespielt bei den Massenprotesten vom vergangenen November, die das alte Regime schließlich von der Macht vertrieben.
Kutschma selber bestreitet jegliche Schuld und behauptet, er habe Gongadse gar nicht gekannt. Der Tod von Krawtschenko spiele ihm in die Hände, ist Olena Pritula überzeugt, die von ihrem Kollegen Gongadse die Führung der Ukrainskaja Prawda übernommen hat: „Krawtschenko war der einzige Zeuge, der die ganze Wahrheit über den Mord an Gongadse hätte erzählen können. Nun kann Kutschma beruhigt sein über sein künftiges Schicksal.“
Allerdings hat die ukrainische Staatsanwaltschaft erklärt, man wolle die brisanten Tonbandaufnahmen aus Kutschmas Büro nach einer neuerlichen Prüfung durch internationale Experten als Beweismaterial vor Gericht zulassen. Damit wäre nicht nur Kutschmas Verwicklung in den Mord belegt. In den Aufzeichnungen, die mehrere hundert Stunden umfassen, spricht der Expräsident unter anderem über Waffenlieferungen in den Irak, illegale Finanzierungen seines Wahlkampfes oder die Entlassung unbotmäßiger Richter. Kommt Kutschma, der sich derzeit in Tschechien aufhält, damit vor Gericht, wäre dies der Albtraum, den er durch die Installierung eines loyalen Thronfolgers verhindern wollte.