PETER UNFRIED über CHARTS : Herr Doktor, ich schäme mich für Maischi
Was ist bloß los, wenn einer Kerner zuschauen kann, bis es qualmt. Aber bei Sandra Maischberger ausrastet?
Unlängst geriet ich in richtig schlechte Gesellschaft. Und zwar in die ARD und ihre Sendung „Menschen bei Maischberger“. Ich trank Pinot Noir von Getränke Hoffmann für 5,99 Euro und hörte dabei der beliebten und renommierten Moderatorin Sandra Maischberger ein bisschen beim Interviewen zu. Nicht lange, da errötete ich, senkte den Blick und … schämte mich. Und zwar richtig.Was das Schamgefühl hergab.
Wie konnte das passieren? Hm. Grundlage der Scham ist das Bewusstsein, durch bestimmte Handlungen oder Äußerungen sozialen Normen nicht entsprochen zu haben. Wenn man den Pinot Noir bitte mal außen vor lässt, so hatte ich mir nichts zuschulden kommen lassen. Maischi-Schauen ist im linksliberalen Superheuchlermilieu nicht kategorisch tabuisiert.
Ist ja wohl klar, dass ich mich sofort in fachärztliche Behandlung begab. Ich sagte: „Doktor, Doktor, ich kann Kerner zuschauen, bis es qualmt. Und Beckmann, bis es quietscht. Kein Problem. Nur bei der Maischi wird mir seltsam.“ Der Doktor fragte mich, wie ich mich bei Kerner so fühlte.
„Gut. Ich amüsiere mich.“
– „Und wenn er etwas richtig, richtig Peinliches macht?“
Hihi. Das macht er ja ständig. Ich erzählte dem Doktor, wie Kerner die Hundesalonbesitzerin Michelle fragte, wie ihre geplante Selbsttötung denn nun genau vonstatten habe gehen sollen. Oder wie er sich unlängst als Opfer der RAF geoutet hatte. Er habe als Kind nachts nicht schlafen können vor lauter Angst. Wahnsinnig peinlich. Aber nicht für mich. Im Gegenteil.
Dann musste ich über Maischberger erzählen. Wie sie mal die rosa Frau eines Rennbruders ganz lieb fragte, ob sie eigentlich im Fernsehen „hingucken“ könne, wenn der geliebte Gatte gefährliche Autorennen fahre. Iiiih. Wie sie in einer Sendung zu Ehren von Udo Jürgens eine solche Schleimspur hinlegte, dass die rosa Frau bestimmt nicht hätte hingucken können, wenn ihr Ralf da drauf hätte fahren müssen. Wie sie mit unappetitlichen Schauspielern ganz und gar private Ehe- und Alkoholprobleme erörterte, speziell auch jene abwesender Ehefrauen. Es ist in letzter Zeit ein bisschen besser geworden und kein Vergleich zu Kerner, aber trotzdem könnte ich ihr eine reinsemmeln, wirklich wahr.
Ich erfuhr, dass meine Bewusstseinsbelastung eine Folge der Erbsünde sei und ich allein durch die Erlösungstat Christi befreit werden könne. Kleiner Scherz. Das Problem sei, dass ich eine emotional-positive Beziehung zu Maischberger aufgebaut hätte. Anders als logischerweise Kerner und Beckmann, die ich immer zu den ANDEREN gerechnet habe, hätte ich Maischberger offenbar zu den Sympathischen, zu den Linksliberalen, zu den Gesellschaftsfähigen gerechnet. Zu den Guten. Also zu UNS. Durch ihre Arbeit in der ARD sei nun aber eine persönliche Enttäuschung entstanden, die sich zunächst in Kränkung und dann in Scham verwandelt habe. Ich wollte noch mehr wissen, aber meine 15 Minuten waren um.
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Auch später bei der Abendgestaltung ließ mich die Sache nicht los. „Cornelia“, sagte ich, „statt, wie bei ntv es sich geziemt, hinter einem journalistischen Tisch zu sitzen, macht die Maischi sich in der ARD distanzlos mit ‚Menschen‘ auf einer Couch gemein. Das hat nichts mehr mit dem zu tun, was sie bei ntv so wahr und schön und gut hat werden lassen: diese kompetente und furchtlose Suche nach der reinen Wahrheit. Vereint mit realisierter Humanität.“
Es schüttelte mich so sehr, dass mir der teure Spätburgunder vom südbadischen Kleinwinzer nicht schmecken wollte.
„Die Maischi glaubt, sie könne Gutes im Schlechten machen, Cornelia“, ächzte ich. „Und sie macht es ja gut. Aber nur im handwerklichen Sinne.“
Die Nudeln kamen.
Ich: „Letztlich ist das Verrat an den Idealen Friedrich Schillers.“
Als die Espressi kamen, sprach meine Begleitung zum ersten Mal. Sie sagte: „Erstens: Du scheinheilige Drecksau. Zweitens: Ich glaube, du liebst sie.“
War mir das peinlich. Ich kann nur hoffen, dass es nicht stimmt.
Fotohinweis: PETER UNFRIED CHARTS Verliebt in Maischi? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER