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Archiv-Artikel

Der Aufstand der Nullwähler

MEXIKO Bei den Parlamentswahlen am Sonntag will die Bewegung „Annulliere deine Stimme“ den Frust über das politische System deutlich machen

„Die Parteien haben sich immer weiter diskreditiert“

Enrique Gómez, POS

MEXIKO-STADT taz | „Ich werde ungültig wählen“, erklärt Jesús Torres Nuño. „Das ist der einzige Weg, um den Parteien und den Politikern zu zeigen, dass wir ihnen jede Legitimität absprechen“, erklärt der in Mexiko bekannte Gewerkschafter.

„Anula tu voto“, zu Deutsch „Annulliere deine Stimme“, ist die erste landesweite Bewegung, die zur „aktiven Stimmenthaltung“ aufruft. Durchaus erfolgreich, denn selbst im eher konservativen Bundesstaat Jalisco besagen die letzten Umfragen, dass die Bewegung knapp sechs Prozent der Stimmen erhalten wird. „Damit liegen wir vor der PRD, und das ist ein beachtliches Ergebnis“, betont Torres. Die PRD, die Partei der Demokratischen Revolution, ist zwar landesweit deutlich stärker als die kleine Protestbewegung. Doch bringt die Bewegung den Unmut vieler Bürger mit dem politischen System zum Ausdruck. „Die Parteien haben sich immer weiter diskreditiert“, erklärt Enrique Gómez von der kleinen Sozialistischen Arbeiterpartei (POS). Das ist der Hauptgrund, warum vor allem jugendliche Mexikaner dem System die kalte Schulter zeigen. Doch erst mit einem dicken Strich durch den Wahlzettel wird daraus ein bewusster politischer Akt, erklärt José Antonio Crespo, Wissenschaftler am Forschungs- und Lehrzentrum der Wirtschaft (CIDE).

In den Zeitungen macht das Wort der Minimaldemokratie die Runde. Und beim Blick auf die Wahlplakate der großen Parteien wird schnell klar, weshalb Verdruss herrscht. So wirbt die PRI (Partei der Institutionellen Revolution), die das Land jahrzehntelang mit einer Mischung aus Klientelismus und Autoritarismus regierte, mit dem Slogan „Zuerst du“. Die konkurrierende PAN, die derzeit regierende Partei der nationalen Aktion, hält mit „Immer mit dir“ dagegen. Genervt sind kritische Geister zudem, dass die PRI gegen die Straflosigkeit ins Feld zieht. „Zur Ineffizienz der Justiz und der latenten Korruption hat sie viel beigetragen“, kritisiert Gómez.

Für ihn sind Wahlbewegungen oder Parteineugründungen eine Alternative. Das wird nicht überall so gesehen. So setzen auf dem Land die Menschen eher auf Kandidaten, die sie persönlich kennen. Socrates Muñoz Jiménez, ein Taxifahrer aus dem kleinen Ort Dos Caminos im Bundesstaat Guerrero, wählt mit Nelly Pastrana eine Kandidatin der PAN. „Ich weiß, wo sie wohnt, und wenn sie nichts für uns tut, dann kann man jedenfalls vor ihr Haus ziehen und protestieren“, sagt der 49-Jährige. Begeistert ist auch er nicht von der Regierungspolitik, denn Präsident Felipe Calderón habe Arbeit versprochen, doch derzeit prägten Entlassungen den Alltag. Das ist Wasser auf die Mühlen der Opposition, darunter die der aktiven Stimmenthalter, die sich in der Bewegung „Regierung der zweiten Generation“ zusammengeschlossen haben.

Was aber nach der aktiven Stimmenthaltung kommen soll, darüber ist man sich bisher nicht einig. „Das kommt nach der Wahl“, sagt Enrique Gómez, der auf zehn bis zwanzig Prozent „Nullwähler“ hofft. Das sei viel zu spät, kritisieren Analysten wie der Expräsident des Bundeswahlinstituts, José Wollenberg. Doch das ist symptomatisch für den Zustand der mexikanischen Minimaldemokratie. KNUT HENKEL