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Archiv-Artikel

Kunden statt Sympathisanten

Der Ökolandbau muss sich den veränderten Anforderungen stellen. Auch die Wissenschaft sei deshalb gefordert, neue Zukunftsstrategien zu entwickeln, meinen Ökolandwirte, Forscher und Politiker auf der Kasseler Ökotagung

Das Schicksal der Hühner schreckte dann vollends aus den NischenträumenOffen blieb, wie sich die sozialen Verhältnisse der Biobauern entwickeln

VON GÖTZ SCHMIDT

Der Ökolandbau ist aus der Nische heraus. Doch außerhalb der Nische, auf dem freien Markt, wird der Wind rauer. Über 600 Teilnehmer kamen letzte Woche zu einer Tagung nach Kassel, um über die Situation des Ökolandbaus und die Aufgaben der Wissenschaft zu debattieren.

Ökolandbau ist eine Erfolgsgeschichte, die jedoch dringend einer Bilanz bedürfe. So sehen es die Organisatoren der Tagung, die Universität Kassel, die Bundesforschungsanstalt Ökologischer Landbau und die Stiftung Ökologie & Landbau. Das Wachstum der Fläche und der Betriebe wird begleitet von besserer politischer Unterstützung und einem wachsenden Markt.

„Solange der Ökologische Landbau in der Nische war, konnte er sich weitgehend frei entwickeln. Mit dem Verlassen der Nische entstehen Zwänge, die diese freie Entwicklung einschränken und teilweise unmöglich machen“, formuliert das Programmheft. Die Wissenschaft sei deshalb gefordert, Zukunftsstrategien zur Lösung der Probleme zu entwickeln.

Doch schon der einleitende Beitrag von Hardy Vogtmann dämpfte diesen Problemlösungs-Optimismus. Der erste deutsche Ökolandbau-Professor und jetzige Präsident der Bundesamtes für Naturschutz konnte sich im eigenen Milieu kräftige Worte leisten: Wie soll die Wissenschaft Probleme lösen helfen, wenn sie diese nicht einmal wahrnimmt?

Sein Beispiel: Die EU-Richtlinien für den ökologischen Landbau erlauben seit 1993 in wachsender Anzahl Zusatzstoffe in Bio-Lebensmitteln und Futtermitteln. Doch zum Gegenstand der Wissenschaft geworden sind all die zweideutigen Zutaten nicht. Synthetische Vitamine, Fischmehl im Futter oder auch Formaldehyd in Reinigungsmitteln waren und sind kein Thema in Wissenschaft und Forschung. Auch die Methoden der Ökoforschung sind meist recht konventionell. Die gern behaupteten inter- oder gar transdisziplinären Ansätze existieren kaum.

Drastische Belege dafür wurden auch auf der Tagung in Kassel vorgelegt. Eine Vielzahl von Untersuchungen und Studien begnügten sich mit einem sehr speziellen Blick auf die Wirklichkeit: Da wurden getoastete Lupinen als Futtermittel untersucht oder verschiedene Beleuchtungsprogramme für Bruteier verglichen. Bei Analysen der Entwicklung des Ökolandbaus in Osteuropa wurde der gesellschaftliche Kontext vollständig ausgeblendet. Agrarpolitische Auseinandersetzungen wurden modelliert, ohne auch nur eine empirische Untersuchung anzustellen.

Es gab nur wenige Beiträge, die einen Überblick über den Stand der Dinge vermittelten. Die meisten Professoren des Ökolandbaus hielten sich als Referenten vornehm zurück, moderierten lediglich die Präsentationen der Forschungsarbeiten. Einer der wenigen anwesenden praktischen Landwirte kritisierte die Zufälligkeit, mit der die Wissenschaft zu ihren Themen kommt.

Zum Glück hatten die Veranstalter Symposien und Workshops eingeplant. Die Sackgassen und die Chancen einer „Konventionalisierung“ des ökologischen Landbaus wurden hier offen diskutiert. Forschungen zur Tierhaltung und Tiergesundheit zeichneten ein schonungsloses Bild der Verhältnisse. So manchem Zuhörer verging der Appetit, wenn er hören musste, dass sich die Bioschweine mit ihren Krankheitsraten kaum von ihren konventionellen Artgenossen unterscheiden.

Nicht viel besser haben es die Kühe. Bei der Eutergesundheit oder der Lahmheit fanden sich keine Unterschiede zwischen Öko-Kühen und konventionell gehaltenen. Das Schicksal der Hühner schreckte dann vollends aus den Nischenträumen. Bei einem Stall mit zu vielen Hühnern einfach nur die Stalltür aufzumachen, das reicht offensichtlich nicht aus. Die Hühner entfernen sich nur wenige Meter vom Stall, und statt glücklicher Hühner entdeckten nachfolgende Untersuchungen die Überdüngung des Bodens, Federpicken, Kannibalismus, Parasitenbefall.

Entscheidend für die Gesundheit des Tieres sind die Managementmethoden des Bauern: die Aufmerksamkeit des Menschen, seine Zuwendung zum Tier und angemessene Bestandsgrößen der Tierherden – nicht ob er biologisch oder konventionell wirtschaftet.

Ein Symposion stellte sogar die Frage, ob der Ökolandbau angesichts der ökonomischen Zwänge in Zukunft noch auf die Tierhaltung bauen kann. Optimistischer stimmen konnten Forschungsergebnisse zur Hühnerhaltung. In enger Kooperation mit der Praxis wurden Analysen und Entwicklungen vorgestellt, die praktikable Wege für die Freilandhaltung zeigen.

Die Ökonomen diskutierten die Chancen der „Konventionalisierung“. Recht nah an der Realität wiesen sie nach, dass die allseits erwünschte Ausdehnung des Marktanteils der Ökolebensmittel nicht ohne die großen Handelsketten gelingen kann. Nur sie werden den Kunden auch dort abholen, wo er einkauft. Niedrigere Handelspannen als beim Naturkosthandel erlauben niedrigere Preise und erschließen dem Ökolandbau damit neue Kunden. Offen blieb, wie sich die sozialen Verhältnisse der Biobauern entwickeln, wenn die Preise weiter sinken und in Zukunft nicht nur die Biomöhren in großen Mengen aus China kommen.

Sozialwissenschaftliche Forschungen waren auf der Tagung kaum vertreten – ein Tatbestand, den die Veranstalter ausdrücklich bedauerten. Überraschenderweise meldeten die Vertreter der großen Anbauverbänden Bioland und Demeter dafür Bedarf an. Sie begrüßten das Ende der Nische. Konventionalisierung muss nicht Verrat an den Idealen der Pioniere sein. Der ökologische Landbau muss immer wieder neu erfunden werden. Soziale Fragen der Arbeitsteilung wie zum Beispiel die Rolle der Frau, die Freizeit, das individuelle Leben oder die Mitarbeit der Bauern in der Politik brauchen neue Antworten.

Der Ökolandbau hat keine Zukunft, wenn er die Familien mit Aufgaben belastet, die sie nicht tragen können. Der Markt muss nicht nur bedrohen, sondern er kann auch die belohnen, die sich fachlich weiterbilden und um ihre Tiere kümmern, statt sich in der Nische auszuruhen.