: 200.000 Euro für toten Raucher
Rauchzeichen für Tabakmulti: British American Tobacco (Lucky Strike, Gauloises) wird in Italien zum ersten Mal verurteilt, an Angehörige eines Krebsopfers Schadenersatz zu zahlen. Der Konzern soll Risiken verniedlicht haben. Ihm drohen mehr Klagen
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Erstmals muss in Italien ein Tabakkonzern Hinterbliebene eines Rauchers entschädigen, der vor Jahren an Lungenkrebs gestorben war. Ein Gericht in Rom hat in zweiter Instanz British American Tobacco (BAT) verurteilt, ein Schmerzensgeld von 200.000 Euro zu zahlen. BAT vertreibt Marken wie Lucky Strike, Gauloises oder HB. Vergleichbare Urteile gab es bisher nur in den USA.
In dem Fall ging es um Mario Stalteri, der 1991 im Alter von 64 Jahren an Lungenkrebs gestorben war. Der Sizilianer hatte, wie so viele Krebsopfer, über Jahrzehnte hinweg täglich ein Päckchen Zigaretten konsumiert. Anders als die anderen aber hatte er einen Sohn, der im Todesjahr des Vaters gerade an der Yale University in den USA studierte und der sich später auf vergleichendes Recht spezialisieren sollte. Marcello Stalteri reichte im Jahr 1994 Schadenersatzklage ein. Er begründete seine Forderungen mit der mangelnden Information der Tabakkonzerne über die Risiken des Rauchens.
In erster Instanz wurde seine Klage jedoch 1997 abgewiesen. Die Richter argumentierten damals, erstens könne ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Qualm und Krebs nicht zwingend nachgewiesen werden. Und zweitens habe Vater Stalteri einem persönlichen Laster gefrönt, für dessen Folgen er allein die Verantwortung gehabt habe.
Das Gericht dagegen machte sich in dem am Dienstag verkündeten Spruch die Argumentation des Klägers zu Eigen, dass die Tabakkonzerne seinerzeit wider besseres Wissen die Rauchrisiken verniedlicht hätten. Stalteri und seine Mutter erhielten deshalb das Schmerzensgeld. Ebenso muss die BAT ihm 20.000 Euro Verfahrenskosten sowie die Auslagen für das von ihm in Auftrag gegebene medizinische Gutachten erstatten.
Die BAT hat jedoch umgehend angekündigt, dass sie dieses Urteil in letzter Instanz vor dem Kassationsgericht anfechten will. Beklagte Partei war nämlich ursprünglich das staatliche italienische Tabakmonopol. Erst im Jahr 1998 ging aus ihm die Ente Tabacchi Italiani (ETI) hervor, die Italienische Tabakgesellschaft. Diese wurde schließlich im Jahr 2003 vom Staat an die BAT, einen der weltweit größten Tabakkonzerne, verkauft. Dieser zahlte dafür damals satte 2,3 Milliarden Euro. BAT argumentiert nun, sie sei für den Altfall nicht zuständig. Bestenfalls sei sie Rechtsnachfolgerin der 1998 geschaffenen ETI, keinesfalls aber des vorherigen Tabakmonopols.
Auch wenn deshalb womöglich am Ende der italienische Staat zahlt, reagierte der italienische Gesundheitsminister Girolamo Sirchia begeistert auf den Gerichtsentscheid. Sirchia hatte erst vor zwei Monaten ein strenges Rauchverbot durchgesetzt, das Restaurants und Bars genauso wie Arbeitsstätten zu nikotinfreien Zonen machte. Die Italiener halten sich erstaunlicherweise daran: Der Tabakkonsum ist seit dem Verbot um etwa 10 Prozent zurückgegangen.
Der Verbraucherverband Codacons kündigte an, dass er nun auch in weiteren 150 Fällen Schmerzensgeldklagen anschieben will. Ob das Urteil aber wirklich einen epochalen Durchbruch darstellt, ist umstritten. Viele Juristen verweisen darauf, dass heutige Raucher angesichts der überdeutlichen Warnhinweise auf den Schachteln keine Klagegründe mehr haben. Auch für Hinterbliebene wird es in den meisten Fällen schwierig, jetzt noch gestützt auf das Urteil aus Rom Klagen einzureichen: Fünf Jahre nach dem Tod des Angehörigen verjähren ihre Ansprüche.