: Der Chefredakteur von Deutschland
In der kommenden Woche erscheint eine Biografie über den Spiegel-Chef Stefan Aust, die zeigt, wie sich beim Hamburger Nachrichtenmagazin die Kritik an den Mächtigen zur eigenen Lust an der Macht gewandelt hat. Ein Vorabdruck
VON OLIVER GEHRS
Es gibt ein paar Dinge, die liegen Spiegel und Spiegel TV unter Stefan Aust sehr am Herzen. Zum Beispiel, ob die Landstraße B 73 zwischen Hamburg und Cuxhaven, über die Aust zu seinen Pferden kommt, durch eine Autobahn entlastet wird. Oder wie man am schnellsten von Hamburg in die Bundeshauptstadt Berlin kommen kann – eine Strecke, die Aust oft zurücklegen muss: mit dem Transrapid, mit dem Superzug Metropolitan oder mit dem ICE auf ausgebauten Gleisen?
Auch eine andere Gruppe, obwohl gesellschaftlich eher irrelevant, findet sich ständig im Spiegel wieder: die Reiter. Seit seiner Kindheit ist Stefan Aust ein großer Pferdefreund. Damals durften er und seine Geschwister auf den Ponys des Stader Augenarztes reiten, und als sein Vater mal ein bisschen mehr Geld hatte, kaufte er drei Vollblutstuten, die in der Zeitung angeboten wurden. In den Siebzigerjahren fing Aust dann an, eine eigene Zucht aufzubauen. 1974 kaufte er ein braunes Stutenfohlen namens Prudenzia, später ein weiteres, das Abendluft hieß. Die genossen auch seine Freunde und Kollegen, die er gern mit in das Landhaus nach Lamstedt nahm, das er und seine Geschwister 1972 gepachtet hatten und viel später kauften. Hier konnten sie beim Ausmisten der Ställe und beim Zäuneziehen durchs Alte Land helfen. Frische Luft tut gut. Zum Dank gab es Deftiges, oft Grünkohl mit Pinkel und Kartoffeln mit Zuckerkruste. Ein Bernhardiner zum Streicheln sprang auch noch rum.
In der Reiterszene ist Aust ein viel geschätzter Mann, weil die Reiter mit dem Spiegel ein wichtiges Medium an ihrer Seite wissen, das sich dem Pferdesport ausgiebiger widmet als der Rest der Massenblätter. Im Kreis anderer Pferdefreunde erzählt Aust schon mal, dass seine Sportredakteure leider nicht verstehen, wie wichtig der Reitsport ist, und stattdessen lieber Artikel über Fußball und Doping schreiben. Als er noch ausschließlich bei Spiegel TV war, bemühte er sich selbst, wenigstens einmal im Jahr etwas über Pferde zu machen, aber bei den störrischen Kollegen vom Magazin ist das nicht so einfach. Gut, dass es den Sender XXP gibt, der sogar ein eigenes Pferdemagazin im Programm hat und dessen Kamerateam selbst noch die stimmungsvollen Kutschfahrten zum Auftakt eines ländlichen Reitturniers im Bild einfängt. „Die meisten wissen gar nicht, wie viele Leute sich mit Pferden beschäftigen“, sagt Aust – beim Spiegel sind es inzwischen jede Menge.
Aust weiß sogar, was diese Leute sonst noch so umtreibt, schließlich wenden die sich gern an ihn, wenn sie Probleme haben, die sich mit einem Bericht im Spiegel vielleicht lösen ließen. Unter Pferdefreunden gewissermaßen. So schreibt ihm die Frau des deutschen Olympiareiters Klaus Balkenhol, Judith Balkenhol, im Mai 2003 einen Brief („An die Redaktion Der Spiegel Herrn Stefan Aust Persönlich“), in dem sie Aust darum bittet, etwas gegen die Windkraft zu unternehmen, die den Reitern nicht nur beim Reiten in Form großer Windkrafträder im Weg steht, sondern sie auch sonst nicht zur Ruhe kommen lässt – wegen eines Phänomens, das Experten Infraschall nennen und bei dem es sich um so tiefe Töne handelt, dass sie für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind. Im Gegensatz zu Giraffen und Elefanten, die können sich damit über Kilometer hinweg verständigen. Judith Balkenhol jedenfalls weist in ihrem Brief an Aust auf die Familie Grothoff hin, die im Münsterschen ansässig ist, Pferde hat und nachts nicht mehr zur Ruhe kommt. „Wir vibrieren uns so langsam in die Matratzen rein“, sagen sie. Auch die robusten Kinder und die stämmigen Pferde seien ruhelos und unausgeschlafen.
Zum Glück gibt es ja nicht nur Gerichte, die für Gerechtigkeit sorgen, und so mündet der Brief von Judith Balkenhol in der Bitte an Aust, „uns gegen die Geißel Windwahn zu unterstützen“. Als Argumentationshilfe belehrt Frau Balkenhol den Spiegel-Chef noch, dass „die Windmühlen energiepolitisch nicht relevant sind“ und durch „alle 14.000 bisher errichteten WKAs bisher kein konventionelles Kraftwerk abgeschaltet“ worden sei, weil „der Wind unstet ist“. Am Schluss heißt es: „Wir hoffen, Sie beim CHIO in Aachen zu treffen, und verbleiben …“ CHIO (Championat Hippique International) ist das größte Springreitturnier Deutschlands.
Drei Monate später erscheint im Spiegel eine Geschichte unter der Überschrift „Erdbeben auf der Matratze“ zur Problematik Infraschall. Darin wird ausführlich das Leiden der Familie Grothoff gewürdigt, aber auch der Sportsfreund Balkenhol persönlich kommt zu Wort, der „eine eigenartige Spannung“ und Konzentrationsstörungen bei seinen Pferden bemerkt hat, seit sich in der Umgebung seines Reiterhofs die Rotoren drehen: „Der Schall geht in den Wald“, so Balkenhol, „und kommt von dort als Echo zurück.“ Als Beleg für die Existenz von Infraschall führt der Spiegel unter anderem britische Forscher an, die als Ursache von Beklemmungsgefühlen in Spukschlössern ebenfalls Infraschall vermuten. Nur in Deutschland, so der Spiegel vorwurfsvoll, werde „als Spinner abgetan, wer über Störungen durch derlei geheimnisvolle Basstöne klagt“. So aufopfernd kümmert sich der Spiegel selten um Minderheiten.
Manchmal kommt es Stefan Aust so vor, als ob die anderen Journalisten nichts vom Spiegel lernen würden. Zum Beispiel, wenn ihn Reporter besuchen und dumme Fragen stellen oder über Fehler sprechen wollen, die er angeblich mache. Dann wird er schon mal ungehalten und ist kurz davor, das Gespräch abzubrechen. Manchmal droht er auch mit dem Anwalt. Oder wenn einer kommt und ihn porträtieren will, dann schreibt er vorsichtshalber einen Brief, dass er „natürlich davon ausgehe“, „dass Sie den ohnehin geschützten Privatbereich respektieren werden“. Das klingt, als sei er nicht nur seit zehn Jahren Chefredakteur des Spiegels, sondern inzwischen Chefredakteur von Deutschland.
Als Chefredakteur von Deutschland hat es Aust nicht leicht. Es ist praktisch eine politische Funktion, ein bisschen so wie die des Innenministers. Wenn er seinen alten Bekannten Otto Schily trifft, dann sind das Gespräche auf Augenhöhe. Hier der frühere RAF-Anwalt, der mit betretener Miene an Ulrike Meinhofs Grab stand und in geschliffenen Plädoyers hart mit dem Rechtsstaat ins Gericht ging. Der heute für einen starken Staat und eine restriktive Ausländerpolitik kämpft, aber dennoch nicht als gewendeter 68er gilt, weil er schon immer feine Anzüge mit Weste und eine Taschenuhr trug. An seiner Seite der streitbare Journalist, der gegen die USA, gegen Springer und gegen die Atomkraft anschrieb und der heute ein Blatt macht, das ein großes Herz für die Wirtschaftskapitäne hat und ein eher kleines für Minderheiten. Ein Journalist, der auch nicht als gewendeter Linker gelten kann, weil er zwar über Jahrzehnte links gehandelt, aber wohl nie gedacht hat. Wer daraus einen ideologischen Zusammenhang zimmert, ist selbst schuld.
Es sind nicht unbedingt die großen Politiker, die Aust faszinieren, sondern die großen Unternehmer, und darunter vor allem die, die aus dem Nichts kommen. Die sich von ganz unten nach ganz oben durchgebissen haben. Die also ein bisschen so sind wie er selbst. Nur noch erfolgreicher.
Es ist eine Welt der Selfmademen, der Privatflugzeuge, der großen Bürofluchten, der achtstelligen Jahresgehälter. Eine Welt, in die Stefan Aust bei allem Erfolg nicht vordringen kann, was nicht nur an ihm liegt, sondern am Spiegel und den Bremsern dort. In regelmäßigen Abständen dürfte Stefan Aust von dem unangenehmen Gefühl heimgesucht werden, dass der Posten des Spiegel-Chefredakteurs nicht alles sein kann. Dass dieser Job für einen wie ihn ein bisschen wenig ist, weil beim täglichen Ausdenken von Titelbildern ein Talent brachliegt, mit dem man es andernorts und vor allem in den USA (wohin es Aust oft zieht) zu Milliarden, mindestens aber zu einem Privatflugzeug bringen kann. Hierzulande aber steht dem Glück als ins wirklich Mächtige changierender Fernsehunternehmer das Bedenkenträgertum der anderen Spiegel-Mitarbeiter im Weg, die Aust immer dann reinreden, wenn es den Spiegel-TV-Macher zu Großtaten auf dem Fernsehmarkt drängt.
Ein Dilemma für Aust, der vom Journalisten längst zum Medienunternehmer gereift ist und in seiner Funktion das „Wie es sein könnte“ ständig vor Augen hat. So muss er mit ansehen, wie sein Freund Karlheinz Kögel mit dem Billigreiseanbieter L’tur und der Einschaltquotenmessanlage Media Control so reich wird, dass er es sich leisten kann, einen völlig sinnlosen Medienpreis zu verleihen, oder wie Haim Saban, der Hauptaktionär der ProSiebenSat.1 Media AG, es mit wenigen klugen Akquisitionen vom ägyptischen Basszupfer zum milliardenschweren Medienunternehmer geschafft hat.
Tatsächlich nimmt sich der Spiegel von Sabans Büro im sechsundzwanzigsten Stock eines Geschäftshauses in Beverly Hills oder vom hohen Schuldenberg Leo Kirchs aus besehen als eine eher mickrige Angelegenheit aus. Insofern trägt Austs ständige Hinwendung zu den Männern mit den unbegrenzten Möglichkeiten fast schon masochistische Züge. Die Redakteure wissen darum und nehmen auf das Faible ihres Chefs für Männer mit großer Brieftasche nobel Rücksicht. Als grobe Arbeitsmaxime gilt, dass man lieber nichts Schlechtes über Menschen schreibt, die mehr verdienen als Aust oder sogar ein eigenes Flugzeug haben.
Am liebsten würde er sie wohl mal mitnehmen zu so einem echten Tycoon, damit sie alle mal sehen, wozu von Politik und Mitarbeitern ungebändigter Schaffensdrang führen kann. Mitnehmen zu einem Typen wie dem amerikanischen Medieninvestor Herbert Allen, der einmal im Jahr ein mythisches Treffen auf seinem Anwesen in Sun Valley, Idaho, veranstaltet, bei dem sich Unternehmungslustige vom Schlage eines Rupert Murdoch oder Bill Gates so nahe kommen, dass danach die Wirtschaftszeitungen ganz voll sind mit Meldungen über bahnbrechende Firmenzusammenschlüsse. Dorthin wird Aust zwar nicht eingeladen, aber er durfte Allen bei anderer Gelegenheit gegenübersitzen. Menschen, die dabei waren, erzählen, der Termin habe etwas Weihevolles gehabt. Vor allem für Aust.
Obwohl er selbst im Vergleich zu den so häufig im Spiegel gewürdigten Harakiri-Unternehmern gern unter nahezu planwirtschaftlichen Bedingungen arbeitet. Eigenes Kapital musste er, abgesehen von der Pferdezucht, nie aufs Spiel setzen, was von einem Sicherheitsdenken zeugt, das womöglich mit seiner Herkunft zu tun hat. Bloß nicht nach Stade zurück!
Wenn Aust der kleine König ist, dann ist Gabor Steingart sein Kronprinz. Noch vor zehn Jahren war Steingart ein Jungredakteur unter vielen, dessen besondere Forschheit im Gewimmel der Spiegel-Talente nicht weiter auffiel. Höchstens sein Gesicht, das immer noch eine Spur mokanter wirkte als das der anderen, selbst wenn es Rudolf Augstein war, dem er gegenübersaß.
Richtig steil wurde der Weg, als Aust kam, unter dem sich Steingart schnell zum Ressortleiter der Wirtschaftsabteilung hochdiente. Aust schätzt an Steingart wohl nicht nur dessen Fähigkeit, in der Konferenz schlagfertig die Kollegen aus dem Feuilleton bloßzustellen, sondern auch die effiziente Arbeitsweise. So erwies sich Steingart ein ums andere Mal als Mann für die ganz harten Fälle, etwa für den, dass am Freitagmorgen die Titelgeschichte aus was für Gründen auch immer abstürzt und bis zum Redaktionsschluss am Abend Ersatz hermuss. Steingart verschwindet dann in sein Zimmer und kommt pünktlich mit vielen beschriebenen Seiten wieder heraus, bei deren Lektüre nur ganz geübte Leser merken, dass es sich um einen Schnellschuss handelt. Das Thema ist eigentlich egal, aber je näher es an der Wirtschaft ist, desto besser.
Mit anderen Worten: Steingart ist Austs beste Kraft, weswegen er wahrscheinlich auch nicht sein Stellvertreter wurde. „Aust würde keinen selbstbewussten Mann neben sich dulden“, so sagt ein Spiegel-Hierarch, „und ein selbstbewusster Mann würde auch nicht neben ihm arbeiten wollen.“
Es gibt sogar nicht wenige, die behaupten, Steingart sei im Grunde genommen wichtiger als Aust, weil der sich aus Politik nicht so viel mache. Es heißt, Aust habe sich 1998 eine große Koalition gewünscht mit seinem Bekannten Volker Rühe als Vizekanzler. Das sage alles.
Dass Steingart wer ist beim Nachrichtenmagazin, zeigt auch der häufige Abdruck seines Fotos und seines Namens. Denn zuweilen ist das, was im Spiegel steht, weniger ein Abbild der Welt als eines vom Innenleben des Blattes. Das Erste, was viele Spiegel-Redakteure in ihrem Magazin lesen, sind nicht die Texte, sondern die Autorennamen: Welcher Kollege hat viel geschrieben, welcher wenig, welcher schon lange nicht mehr, welcher auf einmal doch. So sind alle über die Hackordnung auf dem Laufenden.
Am allerwichtigsten aber ist für die Redakteure die Hausmitteilung und die Frage, wessen Foto dort erscheint. Selbst altgediente Reporter können sich von Herzen freuen, wenn ihnen die Ehre zuteil wird, mit Bild im Spiegel zu erscheinen, am besten an der Seite eines Prominenten. Wenn zwei Redakteure auf dem Bild sind, kommt es darauf an, wen der Promi anschaut. So gerät schon mal ein Bild ins Blatt, auf dem ein Redakteur an der Seite von Thomas Gottschalk steht – stolz lächelnd, als wollte er den Lieben daheim signalisieren, wie weit er es gebracht hat.
Die Lohnnebenkosten müssen runter, die Sozialausgaben gekappt und der Föderalismus weitgehend abgeschafft werden – das ist, kurz gesagt, Steingarts Programm, und weil das doch wieder so hartherzig klingt, hat sich Steingart für seinen Bestseller „Deutschland – Abstieg eines Superstars“ eine Metapher aus dem Tektonischen ausgesucht. Im produktiven, glühenden Inneren unserer Volkswirtschaft, so Steingart, finde derzeit eine Kernschmelze statt. Gemeint ist, dass es durch Abwanderung und Pleiten von Firmen bald zappenduster wird, obwohl ja bei Kernschmelzen ungeheure Energie frei wird. Aber Steingart ist kein Atomwissenschaftler.
Normalerweise sind Kündigungen beim Spiegel selten, weil das geliehene Prestige und das gute Gehalt darüber hinwegtrösten können, dass man schon lange keinen Artikel mehr im Heft hatte. Doch seitdem Steingart der Chef im wichtigsten Spiegel-Büro ist, gehen viele freiwillig. Gleich sechs Redakteure verließen innerhalb kurzer Zeit das Haus. Manche, so heißt es, wurden regelrecht rausgemobbt, ihre Themen abgelehnt, ihre Artikel nicht gedruckt. So erging es auch dem stellvertretenden Büroleiter Ulrich Deupmann. Deupmann wechselte später zur Bild am Sonntag und kam dort bei der Affäre um Florian Gerster und dessen seltsames Gebaren in der Bundesagentur für Arbeit dem Spiegel zuvor.
Weil die Fluktuation so hoch ist, führt Steingart viele Bewerbungsgespräche. Er fühlt sich dann wie ein Fußballtrainer, der für seine Mannschaft die Besten will, die auf dem Markt sind. „Wir sind der FC Bayern München“, sagt er und meint damit offensichtlich den alten FC Bayern, der noch auf die Meisterschaft abonniert war, nicht den neuen, bei dem nicht alles zusammenpasst.
Das Problem aber ist, dass die besten Journalisten nicht unbedingt einem Fußballtrainer im Bewerbungsgespräch gegenübersitzen wollen. Das macht es schwierig.
„Die Währung des Spiegel ist Angst“, zitiert Steingart den Reporter einer Wochenzeitung, „Angst nach innen und Angst nach außen.“ Er findet den Satz sehr treffend. Mit der Angst nach außen ist die Angst der Politiker gemeint vor den Geschichten, die der Spiegel so ausgräbt. Aber – das müsste Steingart selbst sehen: Da ist nicht mehr viel. Rudolf Scharping, Florian Gerster, Helmut Kohl, Bundesbankpräsident Ernst Welteke – da waren andere mehr oder weniger schneller, auch wenn Aust darauf beharrt, dass der Spendenskandal der CDU mit dem Panzerdeal von Karlheinz Schreiber losging, den der Spiegel als Erstes im Blatt hatte.
Das mit der Angst nach innen jedoch stimmt uneingeschränkt. „Einmal im Jahr werden alle ans Fenster gerufen, dann wird eine Leiche auf den Hof geschmissen, und alle schauen, wer da liegt“, sagt ein eher unängstlicher Redakteur.
Wer Aust kritisiert hat, ist gegangen, und nicht mal seine Stellvertreter, von Augstein einst mit viel Macht ausgestattet, wagen noch Widerspruch. Der eine, Martin Doerry, ist ein Intellektueller, der in einer völlig anderen Welt als Aust lebt. Eine Welt, in der man studiert, das Feuilleton liest und vor der Banalisierung des Holocausts warnt. Es ist eine Welt ohne Stallgeruch. Der andere, Joachim („Jockel“) Preuß, ist eher wie Aust. Nur dass er sich ständig zu wundern scheint, warum Aust Chef ist und nicht er selbst. Dass es so ist, auch dafür zollt er ihm wohl Respekt.
Auf Kritik von außen reagiert Aust so gereizt, weil es Kritik innerhalb des Spiegels kaum noch gibt. Wenn nicht mal mehr die Spiegel-Redakteure bei ihm nachfragen, warum sollte es dann jemand dürfen, der nicht vom Spiegel kommt. So gesehen ist Aust vielleicht der Einzige, der wirklich glaubt, der Spiegel sei unabhängig. Selbst von ihm.
So zerfällt das „Sturmgeschütz der Demokratie“ unter Aust in drei Lager: Die erste Gruppe klagt, dass der Spiegel unpolitisch geworden sei, herumeiere, heute dies und morgen jenes schreibe. Mal werde das Dosenpfand unterstützt, dann wieder nicht. Mal der Kanzler auf den Schild gehoben, dann wieder fallen gelassen. In der Ressortleiterkonferenz werde nur noch das besprochen, „was auf der zweiten Seite der Bild-Zeitung oben, unten und in der Mitte steht“, wie ein Redakteur aus dem Parlamentsbüro klagt. „Wir werden bei den Politikern nicht mehr ernst genommen.“
Die zweite Gruppe hält dagegen, dass der Spiegel noch nie weiter gedacht habe als die Bundeswehrführung, dass eh niemand mehr wisse, was links oder rechts bedeute. Sie freuen sich, dass nun nicht mehr nur die zuständigen Redakteure über die Politik berichten, sondern ausgezeichnete Reporter aus dem Gesellschaftsressort, die zwar weniger Hintergrundwissen haben, dafür aber besser schreiben können. Und habe nicht Hans Magnus Enzensberger schon 1957 konstatiert: „Das Blatt hat keine Position. Die Stellung, die es von Fall zu Fall zu beziehen scheint, richtet sich eher nach den Erfordernissen der Story, aus der sie zu erraten ist: als deren Pointe. Sie wird oft wenige Wochen später durch eine andere Geschichte dementiert, weil diese einen anderen ‚Aufhänger‘ verlangt.“ Aust nahm Enzensbergers Diagnose 1997 noch mal ins Blatt, in eine Jubiläumsnummer zum Fünfzigsten. Für ihn war es wohl ein Lob.
Die dritte Gruppe ist mit Abstand die größte. Es sind die, die gar nichts sagen. Die sich schon deshalb ganz wohl fühlen, weil das Gehalt hoch ist, reichlich Spesen gemacht werden dürfen, der Kaffee aufs Zimmer gebracht wird und es im Bekanntenkreis noch immer am besten ankommt, wenn man beim Spiegel ist.
Es ist irgendetwas schief gelaufen in Austs Amtszeit: Im Spiegel selbst sind die kritischen Stimmen verstummt, er ist innen hohl. Aber drum herum werden die Kollegen plötzlich frech. Die Journalisten, aus denen er Spiegel-Leute machen sollte, sind keine mehr – dafür führen sich diejenigen wie Spiegel-Leute auf, für die er eigentlich gar nicht zuständig ist.
So gesehen hat der Chefredakteur von Deutschland einen guten Job gemacht.
OLIVER GEHRS, 36, Herausgeber des Magazins Dummy, hat selbst von 1999 bis 2001 unter Stefan Aust gearbeitet, als Wirtschaftsredakteur im Berliner Spiegel -Büro. Schon als taz-Medienredakteur hat er zuvor Austs Karriere verfolgt, später dann bei der Berliner Zeitung und der SZ. Für sein Buch „Der Spiegel-Komplex – wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete“ (München, Droemer/Knaur, 336 Seiten, 19,90 Euro) hat Gehrs mit Spiegel -Redakteuren und Weggefährten des Spiegel -Chefredakteurs gesprochen. Aust selbst hat Gehrs für das Buch zweimal in seinem Büro besucht, beides eher unergiebige Treffen.
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