: Nette Schurken in Damaskus
Der Truppenabzug aus dem Libanon wird die Rolle Syriens als regionale Militärmacht beenden. Das ist einerseits im Interesse der USA. Andererseits auch wieder nicht
Syriens Präsident Baschar al-Assad ist ein Mann, mit dem man reden kann. Kein wahnsinniger Saddam Hussein, der stur in sein Verderben rennt. Assad ist offen für Kompromisse und bereit einzulenken – das hat er in der Libanonkrise bewiesen. Die ersten syrischen Truppen sind am Wochenende über die Grenze gekommen. Bis wann der Abzug komplett sein wird, legt eine Kommission aus syrischen und libanesischen Militärs innerhalb eines Monats fest.
Ein Zeichen von Halbherzigkeit? Keineswegs. Assad tut, was jeder westliche Staatschef tun würde. Gemeinsam mit den zuständigen Ministerien trifft er eine Grundsatzentscheidung, ihre Umsetzung überlässt er Fachleuten. Zur Lösung von Problemen Kommissionen einzusetzen gehört zum Lieblingsspiel europäischer Politik – was Assad macht, sollte den Westen deshalb beruhigen, nicht alarmieren.
Den Amerikanern und Israelis passt dieses Verhalten freilich nicht in den Kram. So viel Pragmatismus sind sie von Schurkenstaaten nicht gewohnt. Sie fordern deshalb weiterhin einen „sofortigen und kompletten“ Abzug aus dem Libanon.
Als erfahrene Besatzungsmächte sollten sie es allerdings besser wissen: Nach fast 30 Jahren militärischer Präsenz Hals über Kopf ein Land zu verlassen ist sowohl militärisch als auch sicherheitstechnisch unklug. Angesichts der angespannten Lage im Libanon macht nur ein geordneter schrittweiser Rückzug Sinn. Nicht im Alleingang, sondern in Zusammenarbeit mit den Libanesen.
Assad weiß das. Er trifft sich deshalb mit der libanesischen Führung, unterschreibt ein Abkommen und gibt einer gemeinsamen Militärkommission klare Vorgaben. Was hatte der Westen erwartet? Dass er die Hand hebt und seine Soldaten zurückpfeift, wie das ein ordentlicher Diktator tun würde? Falsch gedacht, Baschar al-Assad taugt nicht zum „bad guy“ und Syrien nicht zum Oberschurkenstaat.
Genau da liegt das Problem der Amerikaner und Israelis. Seit dem Krieg im Irak bemühen sie sich nach Kräften, Syrien als verbrecherisches Regime darzustellen, das den Terrorismus fördert und die ganze Region destabilisiert. Aber die Rechnung mag nicht aufgehen. Natürlich wird Syrien von einer autoritären Clique beherrscht, die unschuldige Menschen in Gefängnisse sperrt, Meinungsfreiheit unterdrückt und sich persönlich bereichert. Aber das spielt bei geostrategischen Erwägungen bekanntlich keine Rolle. Wichtig ist, ob ein Regime das tut, was von ihm verlangt wird. Und Damaskus tut es – wenn auch ungern.
Auf Drohungen aus Washington folgte bislang stets eine Geste guten Willens: Bewaffnete Kämpfer sickern über Syrien in den Irak ein? Syrien verstärkt entlang der 600 Kilometer langen Grenze die Kontrollen und baut einen Erdwall. Saddam-Getreue und Anführer des Widerstands verstecken sich in Syrien? Damaskus bittet um Informationen, um die Betroffenen ausliefern zu können. Radikale Palästinensergruppen operieren aus Damaskus? Die Büros der Hamas, des Islamischen Dschihad und anderen werden geschlossen, ihre politischen Führer erhalten Redeverbot.
So viel Zusammenarbeit ist ärgerlich, denn sie nimmt den Amerikanern den rhetorischen Wind aus den Segeln. Aus Washington heißt es dann, Syrien müsse „noch mehr“ tun, die Bemühungen seien „nicht ausreichend“.
Die immer gleichen Anschuldigungen gegenüber Syrien sind inzwischen zur Leier verkommen, deren einziges Ziel es ist, den Druck auf das Regime aufrechtzuerhalten. Egal was Damaskus macht, Washington und Jerusalem fällt stets etwas Neues ein. Mal sollen Saddams verschollene Massenvernichtungswaffen in der syrischen Wüste vergraben liegen, mal macht Israel die Syrer für einen Selbstmordanschlag in Tel Aviv verantwortlich. Was immer im Nahen Osten schief geht, die Syrer waren es.
Der Mord an dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri passte deshalb perfekt ins Konzept der USA und Israel. Wer auch immer dahinterstecken mag, die beiden machten für sich das Beste daraus: Sie schlossen die Front gegenüber Syrien. Von einem Tag auf den anderen redete die ganze Welt über die syrische Präsenz im Libanon – das einzige Thema, wo sich Europäer und Amerikaner einig sind.
„Syrien gegen den Rest der Welt“ hieß das Spiel der vergangenen vier Wochen, aber jetzt will Baschar al-Assad nicht mehr mitspielen. Nachdem sich seine wichtigsten arabischen Verbündeten, Saudi-Arabien und Ägypten, ebenfalls für den Truppenabzug ausgesprochen hatten, war ihm klar geworden: Der einzige Weg aus der Krise ist ein Politikwechsel – auch im Libanon. Statt das syrisch-libanesische Verhältnis wie bislang auf militärische und sicherheitspolitische Aspekte zu bauen, setzt Damaskus jetzt auf historisch gewachsene Gemeinsamkeiten der beiden Völker.
Eine überfällige Einsicht. Syrien braucht für seinen Einfluss im Libanon weder Soldaten noch Geheimagenten – die gemeinsame Geschichte, kulturelle und religiöse Übereinstimmungen, wirtschaftliche Interessen und verwandtschaftliche Beziehungen machen die beiden Länder ohnehin zu engen Partnern. Der syrische Truppenabzug ist deshalb nicht das Ende, sondern ein Neuanfang für die syrisch-libanesischen Beziehungen.
Er passt zudem in die neue Regionalpolitik Syriens. Seit einiger Zeit bemüht sich die Regierung in Damaskus um gute nachbarschaftliche Verhältnisse. Nach jahrelangem Konfrontationskurs hat sie sich mit der Türkei, dem Irak, mit Jordanien, Palästina und jetzt mit dem Libanon arrangiert. Die Politik der Stärke ist einer Politik gemeinsamer Interessen und wirtschaftlicher Zusammenarbeit gewichen – ein faktenorientierter Pragmatismus hat gesiegt. Grund zu innenpolitischer Hoffnung? Abwarten. Bislang haben die anhaltenden Drohungen von außen die Syrer im Innern vereint.
Massendemonstrationen zur Unterstützung des Präsidenten zeigen, dass die meisten Syrer ihre inneren Angelegenheiten ohne fremde Hilfe regeln wollen. Ganz ohne Druck von außen wird sich jedoch kaum etwas bewegen. Zu mächtig sind die Leute, die ein persönliches Interesse daran haben, dass alles beim Alten bleibt.
Was Syrien deshalb braucht, ist konstruktiver Druck. Deutliche Forderungen, die nicht das Regime an sich in Frage stellen, sondern eine Veränderung seiner Politik anstreben. Destruktive Drohgebärden, wie sie von den USA und Israel ausgehen, mögen Syrien außenpolitisch auf Linie bringen. Innenpolitisch wirken sie kontraproduktiv. Denn eine syrische Regierung, die sich bedroht fühlt, kümmert sich um Raketenabwehrsysteme statt um Reformen.
Präsident Assad hat bewiesen, dass er mit Worten besser umgeht als mit Waffen. Und dass er bereit ist, seine Politik der Stärke aufzugeben. Bleibt zu hoffen, dass diese Botschaft auch Washington und Jerusalem erreicht. Denn ein einseitiger Politikwechsel allein bringt noch keinen Frieden. KRISTIN HELBERG