: „Nur ganz wenige Klagen“
INTERVIEW CHRISTIAN RATH
taz: Herr Scholz, wie viele Arbeitsplätze wird uns das geplante Antidiskriminierungsgesetz (ADG) wohl kosten?
Olaf Scholz: Null. Das Gesetz wird keinen einzigen Arbeitsplatz kosten.
Angela Merkel spricht aber von einem „Jobkiller“ …
Das sagt sie so, das würde sie aber auch bei einem ganz anderen Gesetzestext sagen.
Sie nehmen das ja sehr gelassen. Sie wollen wohl Ihre SPD-Parteifreunde aus Nordrhein-Westfalen – Ministerpräsident Steinbrück und Wirtschaftsminister Harald Schartau – nicht kritisieren, obwohl die ins gleiche Horn wie Angela Merkel blasen …
Wir haben ein moderates Gesetz vorgelegt, das an keinem Punkt übers Ziel hinausschießt. Wo Klarstellungen nötig sind, wird es sie geben. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gesetz am Ende auf breite Akzeptanz stoßen wird.
Was ist das Ziel, das Sie so moderat verfolgen?
Jeder Bürger soll einen gleichberechtigten Zugang zum Handel mit Waren und Dienstleistungen sowie zum Arbeitsmarkt bekommen. Niemand soll dabei wegen Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung oder Religion benachteiligt werden. Dieses Prinzip gilt gegenüber dem Staat schon sehr lange. Jetzt ist es Zeit, dass es auch im Geschäftsleben verankert wird.
Das könnte eine Flut von Klagen auslösen …
Derartige Befürchtungen sind völlig aus der Luft gegriffen. Die jährliche Zahl der Klagen wird sich vermutlich an zwei Händen abzählen lassen.
Wirklich?
Man muss sich von der Vorstellung frei machen, dass in Deutschland die Unternehmer ständig ihre Mitbürger und Kunden diskriminieren. Das ist nicht so. Es gibt vereinzelte Fälle, die für die Betroffenen sehr entwürdigend sind, wenn etwa eine Gruppe Behinderter im Restaurant abgewiesen wird, weil sie angeblich stört. Diesen Menschen geben wir mit dem ADG ein Instrument in die Hand, sich zu wehren.
Möglicherweise fühlt sich auch mancher diskriminiert, nur weil er etwas nicht bekommen hat, was er wollte. Solche Fälle können ebenfalls zu Klagen führen …
Klagen ins Blaue hinein werden keinen Erfolg haben und deshalb unterbleiben.
Das Gesetz räumt den Betroffenen doch Verbesserungen bei der Beweislast ein – und der Beklagte muss dann beweisen, dass er nicht diskriminiert hat.
Ganz wichtig: Wir haben die Beweislast nicht umgekehrt, sondern nur eine Beweiserleichterung im Gesetz verankert. Wer klagen will, muss zunächst einen Sachverhalt vorweisen, der wie eine Diskriminierung aussieht. Dazu genügt es nicht zu sagen, ich bin Ausländer und ich habe den Job nicht bekommen.
Sondern?
Ich will es an einem Beispiel deutlich machen: Ein Mensch mit einem ausländischen Namen bewirbt sich um eine Wohnung, und es heißt, die sei schon vergeben. Anschließend rufen fünf Freunde mit deutschem Namen an und werden zur Besichtigung für eben diese Wohnung eingeladen. Das ist ein Sachverhalt, der auf eine Diskriminierung hindeutet. Nur in solchen Konstellationen muss die Wohnungsgesellschaft beweisen, dass sie nicht diskriminiert hat.
Müssen Unternehmen und Vermieter jetzt immer ihre Auswahlverfahren genau dokumentieren, um sich im Streitfall verteidigen zu können?
Das Gesetz sieht keine Dokumentationspflichten vor, und ich würde auch niemand dazu raten, so einen sinnlosen bürokratischen Aufwand zu treiben. Es wird nur ganz wenige Klagen geben, und dort, wo wirklich diskriminiert wurde, hilft auch eine Dokumentation – zu Recht – nicht weiter.
Was macht Sie eigentlich so sicher, dass es nur wenige Klagen geben wird?
Wir haben schon seit 1981 im deutschen Recht eine ganz ähnliche Vorschrift, die die Diskriminierung von Männern und Frauen im Arbeitsleben verhindert. Dort finden wir exakt die gleichen Beweiserleichterungen und es gab in 24 Jahren ganze 119 Klagen. Das sind im Schnitt fünf Klagen im Jahr. Sie verstehen sicher, warum ich die Kritik am ADG so unsachlich finde.
Das neue Gesetz schützt aber auch noch gegen die Diskriminierung wegen anderer Merkmale …
Das wird aber die Größenordnung nicht verändern. Andere europäische Staaten haben schon seit langem breit angelegte Antidiskriminierungsgesetze. Auch dort gibt es keine Klageflut. Und die meisten Beschwerden beziehen sich dort auf das Geschlecht, also auf das Merkmal, das in Deutschland schon seit über 20 Jahre besonders geschützt ist.
Wenn ein Unternehmen nun aber doch diskriminiert hat, muss es Schadensersatz berappen. Aus den USA hört man von millionenschweren Entschädigungszahlungen. Vielleicht ist die Wirtschaft deshalb so beunruhigt?
Wir leben aber nicht in den USA. Das deutsche Schmerzensgeldrecht ist sehr zurückhaltend, und daran wird sich auch durch das ADG nichts ändern. Wir haben ausdrücklich darauf verzichtet, einen „abschreckenden“ Schadensersatz vorzusehen, obwohl das von vielen Seiten gewünscht wurde. Unser Gesetz ist moderat.
In manchen Fällen kann sich eine diskriminierte Person eine Dienstleistung oder einen Vertrag erstreiten, der ihr zuvor verweigert wurde. Der Gegenseite wird also ein Vertragspartner aufgezwungen, den sie partout nicht wollte. Wie stehen Sie eigentlich zur Vertragsfreiheit?
Ich bin ein großer Anhänger der Vertragsfreiheit. Sie ist ein zentraler Bestandteil der Marktwirtschaft und unserer freiheitlichen Ordnung. Das ADG schränkt die Vertragsfreiheit nicht ein, sondern erweitert sie. Denn sie erlaubt auch den bisher Diskriminierten, Verträge zu schließen, die ihnen zuvor ungerechtfertigt vorenthalten wurden.
Sie haben auf alles eine Antwort, aber trotzdem eine schlechte Presse. Ist das Gesetz den vielen Ärger wert?
Ja. Aber wir haben auch gar keine andere Wahl. Mit dem ADG setzen wir vier EU-Richtlinien um. Teilweise sind wir schon überfällig. Auch wenn die CDU an der Regierung wäre, müsste sie ein ADG schaffen.
Rot-Grün geht aber über die EU-Vorgaben hinaus. Das ist im Moment doch der Kern des Streits …
Richtig. Aber wer uns das vorwirft, soll auch laut und deutlich sagen, wo wir über die Vorgaben hinausgehen. Die EU verlangt im Geschäftsleben derzeit nur, dass gegen Benachteiligungen wegen Rasse, Ethnie und Geschlecht geschützt wird. Wir aber wollen, dass zum Beispiel auch Behinderte und Alte nicht diskriminiert werden dürfen. Und wenn Sie in einer Umfrage fragen, ob die Bürger wollen, dass Behinderte im Restaurant abgewiesen werden dürfen, dann werden Sie sehen, dass unser Ansatz durchaus nicht weltfremd ist.
Es war vor allem das Interesse der Grünen, über die EU-Kriterien hinauszugehen. Wie viel Rückhalt hat das Gesetz in der SPD?
Das ADG ist ein gemeinsames Projekt der Regierungsfraktionen, das auch in der SPD fest verankert ist, gerade was den Schutz der Behinderten und älteren Menschen angeht.
Bisher haben wir fast nur über die Kritik der Konservativen geredet. Es gibt aber auch Kritik von Betroffenenverbänden, die Ihnen vorwerfen, das Gesetz sei ein einziger Flickenteppich, mit unendlich vielen Ausnahmen …
Es stimmt, unser Gesetzentwurf sieht viele lebensnahe Ausnahmeregelungen vor. Wer eine Wohnung im eigenen Haus vermietet, ist nicht an das ADG gebunden. Und wer seinen Gebrauchtwagen verkauft, muss eine Ungleichbehandlung der Interessenten nicht rechtfertigen. Uns geht es ums Massengeschäft, um Unternehmen und Betriebe, die normalerweise Verträge ohne Ansehen der Person schließen. Hier ist es besonders demütigend, wenn jemand aufgrund eines der geschützten Merkmale benachteiligt wird.
Den Wohnungsgesellschaften wollen Sie jetzt sogar erlauben, Bewerber nach ethnischen Kriterien auszuwählen …
Ja, aber nur um eine ausgewogene Mieterstruktur sicherzustellen. Das Wohnraumförderungsgesetz regelt das schon heute. Das ist auch im Interesse der ethnischen Minderheiten, denn die Vermeidung von ghettoähnlichen Strukturen dient unmittelbar der Integration. Das werden wir klarstellen. Das ist einer der wichtigsten Punkte, die wir aus der Anhörung letzte Woche mitgenommen haben.
Gilt das auch für den Türsteher an der Diskothek? Darf er weiterhin Leute ablehnen, um eine „ausgewogene“ Besucherstruktur sicherzustellen?
Ein Diskobesitzer kann sicherlich auch in Zukunft dafür Sorge tragen, dass er ein ähnlich gesinntes und gestyltes Publikum versammelt. Auf Rasse und ethnische Herkunft darf es dabei aber nicht ankommen. Es gilt die Grundregel: Alles was vernünftig ist, wird keine Schwierigkeiten machen.