: Die Kopftuchmärtyrerin
Mit Wut und Fassungslosigkeit reagieren die Ägypter auf die mediale und politische Behandlung des Mordes im Dresdner Landgericht. Die Beerdigung wurde zur Anklage
VON KARIM EL-GAWHARY
„Schwangere Deutsche in Ägypten erstochen!“ Was wäre da los. Wie würden die Deutschen reagieren, fragt der aufgebrachte junge ägyptische Blogger Hischam Maged. „Wie würde darüber berichtet, wenn eine westliche Frau irgendwo auf der Welt – Gott verbiete im Nahen Osten – von einem muslimischen Extremisten niedergestochen worden wäre?“
Es gibt in Ägypten diese Woche kein anderes Thema als den Mord an der jungen ägyptischen Mutter im Dresdner Landgerichtssaal. Die Trauerfeier in Alexandria wurde zur Anklage gegen die deutsche Politik und Islamfeindlichkeit in Deutschland. „Warum wurde Marwa getötet?“, heißt es auf einem Plakat, dass einer der gut tausend ägyptischen Trauernden hochhielt. Einige Heißsporne riefen „Nieder mit Deutschland“ und forderten Rache.
Die 32 Jahre alte Apothekerin aus Alexandria war am vergangenen Mittwoch von einem 28 Jahre alten Russlanddeutschen Alex W. im Gerichtssaal mit 18 Messerstichen getötet worden. Ihr drei Jahre alter Sohn musste die Bluttat mitansehen. Doch damit nicht genug. Ihr Ehemann wurde schwer verletzt, als er sich schützend vor seine Frau stellte, nicht nur von den Messerstichen des Angreifers, sondern auch von den Schüssen aus der Pistole eines Gerichtswärters, der offensichtlich den Ägypter für den Angreifer hielt. „Der Wächter dachte wohl, weil er nicht blond ist, muss er der Aggressor sein“, erklärt der verbitterte Bruder der Toten Tarek al-Scherbini im ägyptischen Fernsehen dazu.
In Ägypten prangt Marwa „die Kopftuchmärtyrerin“ auf allen Titelseiten. Marwa, die Axel W. auf einem Spielplatz in Dresden letztes Jahr aufgefordert hatte, eine Schaukel für ihr Kind freizumachen, wurde von ihm, wohl auch wegen ihres Kopftuchs als „Islamistin“, „Terroristin“ und „Schlampe“ beschimpft. Ende 2008 war Axel W. dafür zu einer Geldstrafe von 780 Euro verurteilt worden. Beim Berufungsprozesses zückte er das Messer.
Für die staatliche Tageszeitung al-Ahram ist Marwa das Opfer einer weit verbreiteten Islamfeindlichkeit in Europa, das sich immer mehr als privater christlicher Klub ansehe. Man wundere sich, wo der deutsche Justizminister oder die Kanzlerin sei, die sich nun eigentlich für diese Tat entschuldigen müssten, heißt es in dem privaten ägyptischen Fernsehsender OTV. Diese Rolle werde im Moment einzig und allein dem deutschen Botschafter in Kairo Bernd Erbel überlassen. Der müht sich sichtlich ab, tauchte in allen möglichen Fernsehprogrammen auf, verurteilte in fließendem Arabisch die Tat, forderte eine strenge Bestrafung, aber wies auch stets darauf hin, dass es sich um eine Einzeltat handele. Der Großscheich der Islamischen Azhar-Universität Muhammad al-Tantawi, erklärte, dass die Tat eines Einzelnen nicht den religiösen Dialog zerstören könne.
Aber das ist gar nicht das Thema in den ägyptischen Medien. „Alles, was wir wollen ist, dass dem Fall des Mordes an einer jungen, unschuldigen Mutter durch die Hand eines Fanatikers und den Bedingungen, die dazu geführt haben, mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird“, schreibt die unabhängige ägyptische Tageszeitung al-Schuruk. „Diejenigen, die diese feindliche und rassistische Stimmung gegen Muslime geschaffen haben, sind verantwortlich für den Tod Marwas“, schreibt die Wochenzeitung Rose al-Yusuf. – „Westliche Medien tragen auch eine Verantwortung, weil sie alle Muslime als Terroristen brandmarken“, lautet der Vorwurf des ägyptischen Politmagazins. Und jetzt versuchten die gleichen Medien den Fall Marwas auf ihren hinteren Verbrechensseiten verschwinden zu lassen,“ meint die ägyptische Oppositionszeitung al-Wafd.
Aber es wird nicht nur Kritik ausgeteilt, sondern auch selbst eingesteckt. Wie der Schriftsteller Alaa al-Aswani. Er fragt, ob die Muslime an dem schlechten Image, das der Islam habe, nicht auch Mitschuld trägen. „Was denken Sie, wenn Bin Laden aus seiner Höhle kommt und die Ermordung einer größtmöglichen Zahl von Amerikanern und Europäern befiehlt“, fragt Aswani.
Der Apothekerverband in Alexandria, dem auch Marwa angehörte, hat zum Boykott deutscher Medikamente aufgerufen. Die heftige ägyptische Reaktion stößt in Deutschland auf ein größeres Interesse als das Verbrechen im Dresdner Landesgerichtes. Ein deutscher Radiosender rief gerade an. „Wie sehr sind nun deutsche Touristen in Ägypten gefährdet?“, so die Frage des Moderators. Also sind doch die anderen wieder böse. Und damit wären wir wieder beim Anfang.