: Türken gedenken ihres toten Pascha
Talat Pascha, der letzte Innenminister des Osmanischen Reiches, wurde vor 90 Jahren in Berlin von einem Armenier erschossen. Ausgerechnet ihn ehrten gestern 20 Türken in Charlottenburg. Eine Provokation, findet eine Journalistin
Schwieriges Gedenken gestern in Charlottenburg: Die Veranstaltung in Gedenken an den letzten osmanischen Innenminister Talat Pascha, der nach armenischer Meinung vor 90 Jahren den Befehl zum Völkermord an Armeniern gegeben hat, ist spontan organisiert. Zunächst sind mehr Journalisten am Steinplatz als Demonstranten. Am Ende sind es etwa 20 Menschen, die Talat Paschas gedenken.
Sie lehnen einen schwarz bemalten Kranz an den Gedenkstein der Opfer des Nationalsozialismus und wollen den deutschen Text auf dem Kranz korrigieren. Es fällt ihnen nicht leicht. Am Ende steht es handschriftlich: „Talat Pascha wurde am 15. März 1921 von einem Armenier ERMORDET“.
In diesem Moment erregt sich die Korrespondentin einer namhaften konservativen deutschen Zeitung: „Sie können diesen Kranz nicht dorthin stellen!“ Sie glaubt offenbar, dass der Kranz für den völkermordverdächtigen Talat Pascha vor dem Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus bleiben soll. Die türkischen Demonstranten sind verwirrt. Sie wissen nicht, warum sich die Journalistin aufregt. Sie wird lauter: „Ihre Geschichtskenntnisse hören offenbar da auf, wo es unangenehm wird!“
Tacittin Yatkin, der Vorsitzender der Türkischen Gemeinde und Organisator der Veranstaltung, begreift schließlich, was die Journalistin ärgert. Er lässt zwei junge Türken den Kranz wegtragen. Diese fragen sich immer noch: „Was soll dieser Stein da sein?“
Kameras laufen. Yatkin verliest zwischen zwei türkischen Fahnen und dem Kranz einen türkischen Text. Er berichtet sachlich, wie Talat Pascha an dieser Stelle durch die Schüsse eines Armeniers getötet und wie dieser – obwohl schuldig gesprochen – von deutschen Gerichten freigelassen wurde. Die damals erschienenen deutschen Zeitungen sollen das berichtet und vermutet haben, dass hinter dem Attentat der britische Geheimdienst gestanden habe. Yatkin beendet seine Rede mit den Worten: „Wir trauern um unseren Märtyrer und verurteilen die Mörder!“ Dann wird auf Deutsch die Aufstellung eines Gedenksteins „für den ermordeten Staatsmann“ gefordert.
Alles überstanden, denken die Demonstranten. Fehlanzeige. Plötzlich stehen weitere fünf Männer am Platz und rollen zwei andere Fahnen auf. Einer von ihnen hält eine revolutionäre Rede. Es sind ehemalige türkische Maoisten der Arbeiterpartei. Ein Aktivist behauptet, dass die USA und die Europäer mit einer Kampagne der Erinnerung an den Völkermord die Türkei zur Aufgabe ihrer nationalen Souveränität zwingen wollen. Es gebe keinen Völkermord, damals sei nur das Land der Türken verteidigt worden – gegen armenische Banden, die von Imperialisten und Russen unterstützt worden seien. Dabei hätten sich Armenier und Türken gegenseitig umgebracht.
Tacittin Yatkin mischt sich ein: „Das ist unsere Veranstaltung. Sie können hier nicht reden.“ Die Veranstaltung endet in einer Debatte, wer wann und wo reden darf. Die deutsche Journalistin empört sich weiterhin: „Ich habe so viel zu diesem Thema geschrieben. Ich finde das alles unmöglich!“ CEM SEY