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Archiv-Artikel

„Eine Rede muss wie ein Handschuh passen“,sagt Karl-Rudolf Korte

Der Bundespräsident wirkt durch sein Wort, weil alle ihm zuhören müssen. Und Veränderungen beginnen im Kopf

taz: Herr Korte, wann bleiben Reden von Bundespräsidenten im Gedächtnis?

Karl-Rudolf Korte: Wenn Sehnsucht und Inszenierung sich idealtypisch verbinden. Es bedarf einer Situation, in der sie eingeforderte politische Führung über Sprache artikulieren müssen. Gleichzeitig sollte eine Sehnsucht nach politischer Romantik existieren, als Ausstieg aus der Kompliziertheit parteipolitischer Machtspiele. Wenn sie dann durch das, was sie sagen, einen parteiübergreifenden Integrationsschub auslösen, dann setzen sie präsidentielle Impulse. Aber die Botschaft muss inszeniert werden. Das hat mit Herzogs Berliner Rede begonnen. Andere vor ihm haben eher Jahrestage genutzt. Das öffentliche Wort ist dabei die zentrale Machtquelle. Obwohl der Bundespräsident entscheidungspolitisch nichts zu sagen hat, müssen ihm alle zuhören. So kann er Worte als Taten setzen. Präsidentielle Macht ist kommunikative Macht.

Manchmal bleibt nicht mehr als ein Schlagwort. Die Ruck-Rede von Roman Herzog wirkt inzwischen doch wie ein Maskottchen des Altpräsidenten.

Das sehe ich anders. Reformen und Veränderungen beginnen im Kopf. Herzog hat einen Ideenwettstreit angestoßen. Das halte ich ihm zugute.

Dennoch hatte seine Rede etwas Naives. Hat vielleicht ein Präsident geradezu die Pflicht, sich den Luxus der Naivität zu leisten?

Unbekümmertheit stand immer jenen Präsidenten am besten zu, die nicht aus dem engen parteipolitischen Betrieb kamen. Das war Herzog, der Starjurist. Das ist heute Köhler. Die Unbekümmertheit führt dazu, dass man diesen Präsidenten gut zuhören kann, weil bei ihnen Absicherungsfloskeln der üblichen Politikerrhetorik fehlen. Dass die Ruck-Rede nicht vollends zündetet, hatte auch andere Gründe. Eine gute Rede muss wie ein Handschuh passen. Herzog verkörperte als Typus den ruhigen und behäbigen Menschen, nicht den agilen und dynamischen Manager. Wenn Herzog also versucht hat, Dynamik zu vermitteln, dann war das nicht ganz stimmig.

Herzogs Ruck-Idee ist unter seinem Nachfolger Johannes Rau in Vergessenheit geraten. Ist es nach fünf Jahren Ruhe jetzt an Köhler, den Ruck quasi zu vollenden?

Ja. Köhler ist der Globalisierungspräsident. Es gilt, das Regieren in Zeiten ökonomischer Knappheit aus dem Kanzleramt heraus zu managen. Keiner ist da berufener als Köhler, dies zu begleiten und auch zur Ökonomie Stellung zu beziehen. Verteilungskonflikte werden reformbedingt wachsen. Köhler kann das mit seinem wertorientierten Führungskonzept verbinden, das er aus seinen internationalen Kontexten im Umgang mit dramatischer Ungleichheit mit einbringt. Danach brauchen desintegrierte Gesellschaften laute Wächterstimmen für den Erhalt zivilisatorische Standards und gegen die Ausgrenzungen sozialer Gruppen. Köhler kann deshalb authentisch und kompetent über Wachstumschancen und Umverteilungsrisiken sprechen.

Bei Köhler hätte man erwartet, dass er abgebrühter auftritt. Er hatte in seinen Ämtern immer mit Staatslenkern zu tun.

Aber er war nie sichtbar in Parteihader verstrickt. Das zeigt sich in Sprache, Gestus und Auftritt. Das macht ihn direkt, erfrischend und glaubhaft.

Wann ist eine Präsidentenrede mutig?

Wenn sie sich gegen den Mainstream richtet. Und wenn sie vorausschaut, in diesem Sinne unzeitgemäß und somit in manchen Fällen auch politisch unkorrekt ist.

Und welche Wirkung kann sie entfalten?

Einfluss heißt hier, Androhung von Öffentlichkeit. Allein die inhaltliche Ankündigung Köhlers gestriger Rede hatte eine große Wirkung. Da wird nicht morgen ein Gesetz draus. Aber in der Veränderung der Deutungsmuster, der Interpretationsraster wachsen wichtige Machtressource, mit der man Mehrheiten organisieren kann kann. Der Rest ist Delegation von Umsetzungsprozessen.

Könnte der Kanzler davon etwas lernen?

Er hat eine ganz andere Rolle. Aber auch der Kanzler kann mit der Sprache als Herrschaftsinstrument, beispielsweise einer in sich stimmigen Reform-Kommunikation, politische Führungsziele artikulieren. Bislang gleicht seine Reformrhetorik jedoch eher dem visionslosen Jargon von Kassenwarten: Hartz IV etc.

Amerikanische Präsidenten halten jede Rede, als wäre es ihre letzte. Ein Modell für Deutschland?

Die missionarisch-religiöse-charismatische Aufladung der amerikanischen Politikszenerie ist uns sehr suspekt. Wir sind im Umgang mit der politischen Rede viel pragmatischer und pathosfern.

Woran liegt das?

Das sind die Nachwirkungen einer überstrapazierten pathetischen Sprache, die Extremismus hervorgebracht hat. Kühler Pragmatismus kann durchaus humorvoll und ideenreich sein. Aber die immer wieder geforderten „Schweiß und Tränen“-Reden bliebe hierzulande ergebnislos, wenn damit nicht gemeint ist, zur richtigen Zeit die passende Rede zu halten.

Früheren Bundespräsidenten fehlt das Markenzeichen. Zumindest eines, das durch gute Reden geprägt wurde. Da reichte es, einfach Präsident zu sein.

Unser Politikverständnis hat sich grundlegend geändert. Es ist nicht nur partizipativer, sondern auch kommunikativer geworden. Die Möglichkeiten, mit Kommunikation – Wort- und Bild-Politik – Einfluss auszuüben, haben sich dramatisch vervielfältigt. Das hat auch das Instrument der Rede massiv aufgewertet.

INTERVIEW: THORSTEN DENKLER