piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Krisengewinnler

VON ULRIKE HERRMANN UND ULRIKE WINKELMANN

Offiziell gilt die Massenarbeitslosigkeit als skandalös. Und tatsächlich schadet sie allen, nicht nur den Arbeitslosen. Denn bei Vollbeschäftigung wären nicht nur die Kosten für die Sozialversicherungen viel niedriger, auch die Unternehmer hätten mehr Kunden. So erstaunt es nicht, dass sich der Kanzler heute mit der Opposition zum „Jobgipfel“ trifft. Es bleibt aber erstaunlich, dass die Kampfansagen an die Massenarbeitslosigkeit zwar seit 30 Jahren ständig wiederholt werden, bisher jedoch nichts gebracht haben. Das könnte daran liegen, dass die Arbeitslosigkeit manchen weniger schadet als anderen – ja kurzfristig sogar nutzt. Dies geben die Profiteure der Arbeitslosigkeit allerdings nicht zu. Vielleicht wissen sie es auch nicht. Aber ihre Interessen sind am Werk.

Arbeitgeber und Aktienbesitzer: Arbeitnehmer sind erpressbar

Inzwischen sind die Beschäftigten auch mit sinkenden Löhnen zufrieden, wenn sie nur ihren Job behalten dürfen. Arbeit wird zum Geschenk, für das nicht bezahlt werden muss. Den Effekt belegen die amtlichen Bundesstatistiken: 2004 wuchsen die Unternehmen- und Vermögenseinkommen um 10,7 Prozent auf 484 Milliarden Euro. Die Bruttolöhne der Arbeitnehmer hingegen stiegen nur um ganze 0,1 Prozent. Dieser Trend dürfte sich noch verschärfen. Denn neuerdings verlangen die Unternehmer nicht nur Lohnmäßigung – sie wollen realen Verzicht. Bei konkursbedrohten Firmen war es schon länger üblich, bei den Beschäftigten zu sparen. Doch nun müssen Arbeitnehmer selbst dann Einbußen hinnehmen, wenn profitable Betriebe glauben, ihre Rendite würde nicht stimmen. Berühmtes Beispiel ist Mercedes-Benz, wo die Arbeiter auf 500 Millionen Euro verzichten mussten, obwohl der Konzern gerade einen Gewinn von 3,1 Milliarden Euro verbucht hatte. Aber die Umsatzrendite von 6,1 Prozent stellte Vorstand und Aktionäre nicht zufrieden.

Die Exportwirtschaft: Erfolg minus Arbeitnehmer

Technisch klingt das so: In der Industrie nimmt die Produktivität jährlich um etwa 5 Prozent zu. Übersetzt: In jedem Jahr wird jeder zwanzigste Mitarbeiter überflüssig – falls der Absatz nicht entsprechend steigt. Doch das Wachstum bleibt hinter dem Produktivitätsfortschritt zurück. Und so gingen in den letzten Jahren weit mehr als 2 Millionen Stellen in der Industrie verloren. Dennoch muss die Rationalisierung sein. Sonst würde Deutschland seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verlieren, und das kann niemand wollen.

Die USA: Kapital im Überfluss

Deutschland ist zwar Exportweltmeister, aber die Binnennachfrage lahmt. Kein Wunder, denn die Löhne der Angestellten stagnieren, und die Langzeitarbeitslosen sollen sich auf Sozialhilfeniveau bescheiden. Deutschland hat ein Verteilungsproblem. Ergebnis: Unternehmen und Vermögensbesitzer machen zwar enorme Gewinne, aber sie können ihr Geld nicht in Deutschland anlegen. Niemand würde die Produkte kaufen, die sie zusätzlich produzieren. Doch es gibt ja noch das Ausland, vorneweg die USA, um das überschüssige deutsche Kapital aufzusaugen. Zudem sind die Amerikaner gern bereit, dafür auch höhere Zinsen zu zahlen. Schließlich müssen sie ein riesiges Leistungsbilanzdefizit ausgleichen, weil sie weit mehr importieren als exportieren. Man kann es auch so sehen: Jahr für Jahr verschenkt Deutschland einen großen Teil seines Volkseinkommens, damit die Amerikaner hier einkaufen und die Bundesrepublik zum Exportweltmeister machen können.

Die Konsumenten: Geiz kostet nichts

Es ist nicht überraschend, dass Geiz neuerdings so viel Spaß macht: Schließlich ist auch Schönes inzwischen billigst zu haben. Ob Handys, Computer, Autos oder Kleidung: Die Preise fallen, oder es gibt mehr Leistung zum gleichen Preis. Denn Produktivitätsfortschritt heißt auch, dass Güter günstiger werden. Das kostet zwar Jobs – aber wer einen hat, der profitiert vom Trend zum Dumping. Seit 2002 liegt die deutsche Inflationsrate unter 1 Prozent, wenn man Sondereffekte wie Praxisgebühren oder höhere Benzinpreise herausrechnet.

Die Sparer: Horten lohnt sich

Eigentlich wirken die Zinsen momentan enttäuschend. Auf dem normalen Sparbuch sind oft noch nicht einmal 2 Prozent zu holen. Aber so trist ist die Realität für den Anleger gar nicht: Denn da die Preise für die meisten Güter nicht steigen und oft sogar fallen, ist es direkt Gewinn bringend, das Geld zu horten, statt es auszugeben.

Die Nutzer der Schwarzarbeit: Putzen wird noch billiger

Die Arbeitslosigkeit drückt nicht nur auf die Tariflöhne, sondern auch auf den Preis für Schwarzarbeit. In Berlin-Brandenburg etwa, wo über die Hälfte aller Bauarbeiter arbeitslos gemeldet ist, wird für die Stunde Schwarzarbeit am Bau mittlerweile der halbe Nettolohn angesetzt. Daher müssen neuerdings noch nicht einmal mehr Studenten ihre Wohnung selbst streichen. Doch sollte man den Anteil der Schwarzarbeit an der Volkswirtschaft nicht überschätzen: Zwar arbeiten viele Deutsche gelegentlich ohne Rechnung – aber fast immer handelt es sich um unproduktive Tätigkeiten. Wie Taxifahren, Babysitten, Renovieren.

Die Arbeitslosigkeitsverwalter: Der eigene Job ist sicher

Selbstredend bedauern auch alle 90.000 Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit (BA) die Massenarbeitslosigkeit. Oder die Leute bei den Personal-Service-Agenturen (PSA), die Arbeitskräfte auf Zeit vermitteln. Ebenso die Ausbilder in den Weiterbildungsfirmen, zu denen die Arbeitslosen geschickt werden. Zwar haben sie alle starke Anreize, Arbeit für ihre Kunden zu finden. Andererseits verdienen sie eben auch an den Arbeitslosen. Als manche die Ankündigung der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit um die Hälfte zu senken, noch ernst nahmen, wurde in der BA gleich überlegt, wie die Halbierung des Personalbestands zu verhindern sei.

Die Politiker: Arbeitslosigkeit entscheidet nicht jede Wahl

Für die Opposition ist Arbeitslosigkeit natürlich immer erfreulich – erweist sich doch die wirtschaftspolitische Unfähigkeit der Regierung wie von selbst. Aber auch ein Kanzler kann gelassen bleiben: Weil die Arbeitslosigkeit schon seit 30 Jahren anhält, ist sie tendenziell langweilig. Da sind Neuigkeiten wie eine Flutkatastrophe immer aufregender, sie müssen nur passend zur Wahl eintreten. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass es Regierungen nicht unbedingt nutzt, Vollbeschäftigung zu erreichen: So kann es dem britischen Premier Tony Blair durchaus passieren, dass er im Mai abgewählt wird. Denn nun, da sie alle einen Job haben, ist den Engländern erst recht aufgefallen, wie unzufrieden sie mit ihren schmutzigen Krankenhäusern sind. Irgendeinen offiziellen Skandal gibt es also immer.