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Archiv-Artikel

Wahn und Weisung

Jonathan Meese ließ sich Bernd Eichingers und Daniel Barenboims Parsifal ins Magazin der Staatsoper übertragen und lud zu seiner eigenen Performance, zu seiner persönlichen Walhalla

VON MARKUS WOELLER

Im „Zardoz“-Film kommt Gott im Jahr 2293 auf die Erde nieder und erteilt den Menschen den Schießbefehl: „Die Waffe ist gut. Der Penis ist schlecht.“ Dass Gott ihnen als riesenhafte steinerne Maske mit dem Antlitz Karl Marx’ erscheint, verwundert nicht weiter. Die Menschen der Zukunft haben sich längst aller Referenzsysteme erledigt.

Nicht so Jonathan Meese. Der Künstler lässt die Referenten seiner kulturellen Sozialisation immer wieder gegeneinander antreten. Am Mittwoch hatte seine neue Performance „Jonathan Meese ist Mutter Parzival“ im noch winterkalten Magazin der Staatsoper Premiere. Zwei- bis dreihundert Mal will Meese John Boormans Sci-Fi-Sozio-Trash gesehen haben. Nicht nur gesehen, sondern einverleibt, verdaut und wieder ausgeschieden. Der fliegende Steinkopf Zardoz hat sich im Bühnenbild seines Stücks in einen drehbaren Janusschädel verwandelt, der die Züge Richard Wagners trägt. Wagner ist einer der wichtigeren Säulenheiligen in Meeses persönlicher Walhalla.

Seit der Absolvent der Hamburger Kunsthochschule Ende der Neunziger mit einer legendären Rauminstallation in der Galerie Contemporary Fine Arts aufschlug, entwickelt er immer wieder neue Einblicke in seinen Kosmos. Das Personal, die Symbole und Schauplätze bleiben konstant. Echnaton, Kinski, Stalin. Caligula und Saint-Just. Isis, Hagen von Tronje und die eigene Mutter. Swastika und eisernes Kreuz, Phallus und Schwert.

Wie Artus zieht es Meese zu Beginn der Performance aus dem Stein der übermenschengroßen Wagnerbüste. Dann begibt er sich auf die Suche nach dem Gral. Nebenan in der Staatsoper schickt Bernd Eichinger den Parsifal auf Wagners Reise der seelischen Läuterung und geistigen Reifung. Nach seiner filmischen Annäherung an die letzten Stunden im Führerbunker inszeniert Eichinger nun die letzte Oper von Hitlers Lieblingskomponisten. Daniel Barenboim dirigiert dazu. Die Musik wird in das Magazin der Lindenoper übertragen. Dort auf der Bühne agiert Meese allein, in vielen Rollen, in der ihm eigenen, pathetisch aufgeladenen Sprache. Er ist Parzival, Richard Wahnkind, der Propagandaddy der Erzemotion. Die Performance beginnt verhalten. Meese liebkost eine mehrfach erigierte Bronzestatue. Er fuchtelt mit dem Schwert, präsentiert Christusikonen und Kreuzritterstandarten. Er grüßt militärisch und nach Art der Nazis. Seine notorische Adidas-Trainingsjacke tauscht er gegen eine schwarzlederne Gruftiekutte oder einen Armeemantel, dem noch die Schlammspuren vergangener Schlachten anhaften. Das wallende Haar bedeckt er mal mit dem mittelalterlichen Kübelhelm der Turnierritter, mal mit einem Bauarbeiterhelm, der ihn als „Kind-Gott“ auszeichnet. Zwei seinem Thron zur Seite gestellte Skelette umarmt er erst, um ihnen kurz darauf die Knochen zu verdrehen. Als Gurnemanz, im Bühnenweihfestspiel Wagners Bass und spiritueller Lehrer der Gralsschule, die Zeilen „Ohnmächtig, in sich selbst die Sünde zu ertöten, an sich legt er die Frevlerhand“ singt, kommt langsam Fahrt in die Aufführung Meeses. Befeuert vom Rotweingenuss entledigt er sich der Oberbekleidung und schwingt sich herab ins Untergeschoss der Bühne, fertigt vier Tafelbilder direkt aus der Tube und beginnt mit seinem Vortrag.

Das Publikum war offenbar gut vorbereitet und ließ sich von der folgenden Tirade mehr einseifen als provozieren. Wahrscheinlich haben sich alle darauf verlassen, dass die Performance eine hermetische Inszenierung ist und keine Interaktion mit den Zuschauern anstrebt, wie es im Einleitungstext des Begleitbuchs zur Aufführung steht. Trotzdem wendet sich Meese an das gut besuchte Auditorium und fordert mehr Demut und Liebe. Auch gegenüber Richard Wagner, der mit seiner Musik keinesfalls quälen wolle. „Lasst die Musik von Wagner sich selbst lieben.“ Meese redet sich zunehmend in Rage. Schreit, gestikuliert, grimassiert. Mit Schaum vorm Mund, hinter gelben Brillengläsern und dem talibanen Bart performt er sich in Trance, jedenfalls wirkt der Veitstanz zunehmend authentischer. Sein Auftritt oszilliert zwischen Wahn und Weisung. Der Radikalität seiner Heroen stellt er die Passivität des Publikums gegenüber. Mit dessen „Befindlichkeitsterrorismus“ mag Meese nichts zu tun haben. Seine Forderung „wir müssen aufrüsten und selber an die Front“ stimmt nachdenklich. Saß man am Ende – ausgestattet mit Sitzkissen und Wolldecke – selbst mit der „Fratze der Harmlosigkeit“ im Zuschauerraum?

Wieder am 19. und 28. März, 16 Uhr, Magazin der Staatsoper