: Sozialstaatliche Zwangsbeglückung
betr.: „Die armen Reichen“ von Michael Miebach, taz vom 11. 3. 05
Ich finde es überraschend, dass ihr Autor ausgerechnet Großbritannien und seine zentralistischen Institutionen als so vorbildlich anführt. Anfang der 1980er gelang es Premierministerin Thatcher, den Wohlfahrtsstaat über den Haufen zu schmeißen – dank der fehlenden Vetospieler. Die Armenstatistik in Großbritannien spricht auf allen Ebenen, von Jugend über Alleinerziehende bis Alte, für sich: sie liegt durchgehend über den deutschen Zahlen. Und außerdem: sollten die deutschen Institutionen mal eben so umgebaut werden, damit endlich wieder mehr Bewegung ins Spiel kommt? Mit Verweis auf England und Thatcher sage ich: Nein danke!
HEIKO PFEIFFER, Potsdam
Michael Mierbach plädiert offensiv dafür, den relativen Armutsbegriff durch den Begriff der „sozialen Exklusion“ zu ersetzen. Seine Argumente sprechen jedoch nur für eine Einführung des neuen Begriffs, nicht aber für eine Abschaffung des alten. Natürlich ist es sinnvoll die Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe differenzierter zu messen, als nur über materielle Ressourcen. Allerdings bedeutet eine Verabschiedung vom relativen Armutsbegriff eine Verabschiedung der Utopie einer Gesellschaft, in der alle gleichermaßen am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren können. Aber Utopien waren ja nie die Stärke der Sozialdemokratie und sollen nun mit „New Labour“ und der „Neuen Mitte“ endgültig aufgegeben werden, wie Herr Miebach schreibt, wenn er affirmativ feststellt: „Relativ verstandene Armut lässt sich praktisch niemals beseitigen.“
Wer sich diese Rhetorik der Abwertung materieller Teilhabe in Zeiten rapide wachsender materieller Umverteilung von unten nach oben zu Eigen macht, hat den Anspruch auf Emanzipation und Gleichberechtigung aufgegeben und als Sozialexperte versagt.
CHRISTOPH HAUG, Berlin
„Politiken der sozialen Inklusion“ sollen bei den Kleinsten beginnen und sodann deren Eltern fördern – „mit Gesundheits- und Erziehungsberatung, Koch- und Sprachkursen, gar Arbeitsvermittlung“. Kein Wort davon, dass es sich dabei regelmäßig um Zwangsveranstaltungen handeln wird, da in sozialen „Brennpunkten“ angesiedelt. Die Klienten solch sozialstaatlicher Zwangsbeglückung erleben diese als leichte Folter für den guten Besserungszweck, nämlich den, prekäre Niedriglohnjobs willig anzunehmen, weil existenzsichernde Normalarbeitsverhältnisse täglich weiter wegbrechen.
Der taz-Gastautor referiert den Neusprech von Schröders und Blairs Sozialpolitik, unterschlägt jedoch deren brutale Komponente: Wer sich nicht in prekäre Niedriglohnjobs „inkludieren“ lassen will, erhält keine Unterstützungszahlungen mehr, ist also von Hunger oder gar Obdachlosigkeit bedroht. Hier von „gesellschaftlicher Teilhabe“ zu sprechen, ist purer Zynismus. Die Ministranten solcher Sozialpolitiken spielen Vabanque mit (Familien-)Leben, denn mindestens fraglich ist, ob die Inkaufnahme nackter Not der „Exkludierten“ die erhofften Niedriglohnjobs für diese hervorzaubern können wird. Erkennbar nicht, und so ist’s – trotz des Neusprechs – am Ende schlicht schwerkriminelle Politik. WERNER BRAEUNER, Meppen