kieler wahlgänge : Ein Desaster mit System
Für Heide Simonis ist der Gang der Dinge bitter. Man muss keine Anhängerin der wackeligen Konstruktion in Schleswig-Holstein oder auch der Politikerin selbst sein, um Mitgefühl mit der langjährigen Ministerpräsidentin zu empfinden, die ihre weitere Kandidatur jetzt überdenken wird. Aber für die SPD, für die rot-grünen Wahlkämpfer in Nordrhein-Westfalen und für die Regierungskoalition in Berlin ist der gestrige Tag weit mehr als nur bitter. Er ist eine Katastrophe.
KOMMENTARVON BETTINA GAUS
Hätten sie das nicht wissen können – oder zumindest ahnen müssen? Heide Simonis, Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Joschka Fischer und Claudia Roth? Und wenn sie sich ernsthaft mit der Frage nach den Konsequenzen eines Desasters im Kieler Landtag auseinander gesetzt hätten: Hätten sie dann nicht gemeinsam beschließen müssen, dieses Risiko nicht einzugehen? Wegen der schwer wiegenden Folgen, die im Falle des Scheiterns drohten?
Natürlich lässt sich darauf erwidern, dass man hinterher immer leicht reden kann und bekanntlich klüger aus dem Rathaus herauskommt, als man hineingegangen ist. Aber das ist ein bisschen dürftig im Angesicht einer Katastrophe. Schlimmer noch: Es ist das, was der rot-grünen Führungsspitze allzu häufig einfällt, wenn es Probleme gibt. Regelmäßig wird zunächst das Prinzip Hoffnung beschworen – „wird schon gut gehen“ –, und wenn sich das als trügerisch erwiesen hat, dann herrschen Ratlosigkeit und Entsetzen. In gewisser Hinsicht ist die Demütigung von Heide Simonis somit bedrückend symptomatisch für professionelles Fehlverhalten von Rot-Grün. Es wird nicht weit genug vorausgedacht.
Dabei ist doch leicht vorhersehbar, wie die Opposition die Ereignisse interpretieren wird: Nicht einmal auf die Gefolgschaft der eigenen Leute können sich SPD und Grüne noch verlassen. Die nehmen lieber den Machtverlust in Kauf, als einen verderblichen Kurs weiter mitzutragen. Während die Führungskräfte an ihren Sesseln kleben. Für die politische Psychologie spielt es keine Rolle, ob diese Darstellung ungerecht und falsch ist, und es ist auch egal, ob Heide Simonis das Opfer einer persönlichen Feindschaft oder politischen Dissidententums geworden ist. Entscheidend ist der Eindruck, der entsteht. Dieser Eindruck ist verheerend. Womit auch die Frage geklärt ist, wer auf Imagegewinne im Zusammenhang mit dem so genannten Jobgipfel hoffen darf. Die Bundesregierung ist es jedenfalls nicht.